Freitag, 16. August 2024

Häppchen

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Häppchen

Eben bei REWE. Grammy-Awards vom Feinsten: Tattoos. Sonnenbrillen auf der Stirn. Fast Alle um mich her mit einer Aura von Wichtigkeit umwabert. Affektiertes Reden und Gestikulieren. Ich muss mehrmals ausweichen, sonst wäre ich angerempelt worden. Stars unter sich eben, aus aller Herren Länder. Und ich der Störfaktor, der einfach nur hier ist und was einkaufen will und sich nicht um dem Laufsteg schert.

Denn natürlich sind so gut wie alle immer auf dem Laufsteg. Und wer da nicht mitmacht, ist ein »Anderer«. Geht gar nicht anders, ja ist inzwischen alternativlos.

Ich habe ein paar Sachen in meinem Einkaufskorb und stehe nun in der Schlange an der Kasse. Zeit, mich mal in Ruhe umzuschauen, die Szene auf mich wirken zu lassen. Da sind rechts von mir sechs oder sieben dieser neuartigen Terminals, wo man sich selbst »abfertigen« kann. Natürlich ausschließlich bargeldlos. Dass inzwischen außer mir altem Sack nur noch wenige in bar bezahlen ist mir schon länger aufgefallen, Tendenz weiter abnehmend.

Es wird daher ein Leichtes sein, das Bargeld in näherer Zukunft abzuschaffen. Die meisten Jüngeren werden es kaum bemerken, da sie bereits so gut wie alles bargeldlos bezahlen, immer öfter mit ihren Handys. Cool, ey! Hier und da kommt bereits Unmut auf, wenn sie selbst kleine Beträge mal bar bezahlen müssen. Die perfekte Klientel also für die in Vorbereitung befindlichen CBDCs (Digitales Zentralbankgeld).

Wenn dann irgendwann aktiv in ihr Konsumverhalten eingegriffen werden wird (»Das Bundesgesundheitsministerium sieht pro Person pro Woche sieben Flaschen Bier vor. Ihre achte Flasche kann daher nicht abgerechnet werden!«), werden die meisten das erst mal für einen »Glitch«, einen »Schluckauf« des Systems halten. Wenn sie anfangen zu begreifen, dass es das nicht ist wird es zu spät sein.

Ich stehe jetzt kurz vor der einzigen offenen Kasse, an der ein schnuckeliger junger Mann sitzt. Während die Frau vor mir ihre Sachen in eine Tasche packt und dann mit Karte zahlt, schaue ich mich um. An den SB-Kassen schräg vor mir stehen viele junge Menschen, natürlich alle verdammt gut aussehend. Um sie herum tänzeln zwei Angestellte des Supermarktes – ein Mann und eine Frau, die immerfort »bargeldlos zahlen, bargeldlos zahlen!« rufen – und passen letztendlich einfach auf, dass möglichst niemand was klaut.

»Sie müssen auch Ihre Papiertüte mit einscannen!«, sagt die Frau, ich schätze sie auf um vierzig, zu einer am Terminal, vielleicht halb so alt wie sie. Es ist urkomisch, »Realtheater« könnte ich es nennen. Ich kann es mir nicht verkneifen zu lachen, was die Umstehenden offensichtlich befremdet. Da bin ich auch schon dran. »Ich zahle bar!«, rutscht mir halbfreiwillig heraus, und reiche einen 20 Euro-Schein. Eine ganz zarte Verbindung kommt zwischen uns zustande – zumindest nehme ich das so wahr.

Wir schauen uns an, als er mir das Wechselgeld in die Hand gibt und wir uns dabei kurz berühren. Ein zartes Lächeln huscht über sein Gesicht, und wir wünschen uns gegenseitig noch einen schönen Abend.

Draußen sitzt einer, der wohl auf der Straße lebt, mit seinem Hund auf einer Decke. Er ist nicht mehr jung, aber auch noch nicht alt. Ich gehe zu ihm und lasse einen Euro in den Pappbecher fallen, der vor ihm steht, wünsche auch ihm noch einen schönen Abend. Er lächelt mich an, und selbst wenn der Euro ein Goldstück gewesen wäre, so hätte es doch nie dieses Geschenk aufwiegen können.

18.11.24 – Da hat jemand das Thema auf seine Weise aufgegriffen. Silvia Shawcross hat einen eigenen Blog, schreibt aber auch beim OffGuardian. Das Artikelchen ist auf Englisch, und wer da reinlesen mag, kann das hier tun. Sie schreibt darin, dass sie vor lauter Äußerlichkeiten (Outfits, Schmuck, Tattoos, …) inzwischen Schwierigkeiten hat, die Person dahinter, ja überhaupt eine Person zu entdecken. Ist überhaupt (noch) jemand da jenseits all dem Spektakulären, »Besonderen«?

Und sie fährt fort sich zu fragen, ob der Einzelne heute überhaupt noch einen (inneren) Ort jenseits all des (äußerlich) Spektakulären, »Besonderen« hat. Die Existenz eines solchen Ortes ganz unspektakulären, einfachen Seins sieht sie als so bedroht an wie eine Tierspezies, die unmittelbar vom Aussterben bedroht ist – sie nimmt als Beispiel die Vaquitas-Schweinswale.

Am Schluss verlinkt sie noch ein Musikvideo, das »ihre Ausführungen entschuldigen« (oder relativieren?) soll. In diesem Musikvideo preist stolz ein am ganzen Körper tätowierter Mann mittleren Alters, wofür all seine Tattoos stehen: Es sei sein ganzes Leben, seine ganzen Überzeugungen, die er (bildlich) außen auf seiner Haut trage. Die sei seine »lebende Leinwand« für alles von ihm Erlebte und Gedachte, die seinen »Lebensfilm« in Symbolbildern zeige.

Wieso ist das heute üblich und »normal« – und es schon beinahe »unnormal«, so was nicht zu tun bzw. zu haben? Erich Fromm sprach mal vom »Marketing-Charakter«, der nurmehr eine Art wandelnde PR-Aktion in eigener(?) Sache sei: Der Kern ist längst weg, »entfremdet«, dafür ist das Selbst-Bild umso stärker ausgeprägt …

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4 Kommentare zu »Häppchen«

  1. Seit vielen vielen Jahren, jedes mal, wenn ich an einer der Supermarktkassen stehe, greife ich dieses Thema auf und seiere meinen Text runter, dass, wenn ihr alle Bargeldlos zahlt, es irgendwann keines mehr geben wird.
    Seit dem Frühjahr 2020 sogar, noch mit gesteigerter Intensität.
    Solange ich konnte, bis zur Maskenpflicht halt.
    Danach, war für mich, mehr als 2 Jahre Schluss mit einkaufen.
    Es hat keinen Zweck….
    Take this: https://overton-magazin.de/kommentar/gesellschaft-kommentar/this-is-the-end/#comment-151441

  2. Super – Du hast etwas vorweg genommen, was ich erst seit relativ kurzer Zeit öfters mache: Nämlich offen das Thema Bargeld (respektive die mögliche totale Kontrolle bei seiner Abschaffung) zu thematisieren. Mein Eindruck ist jedoch auch hier, dass die Leute zwar meine Worte verstehen, doch nicht (mehr) deren Bedeutung …

    Ich könnte also auch gleich irgendwelches »Gibberish« von mir geben, es würde aufs Gleiche rauslaufen. Und ja – diesen Artikel von Roberto de Lapuente kenne ich. Mir kam dazu mal, dass wenn die Handyfotos oder -Videos vom großen Blitz misslungen sind, die letzte Handlung der meisten sein wird, pampig die Musik in den Ohren lauter zu drehen …

  3. Salut Claus

    Ich wünsch dir was, denn es könnte ja das letzte Weihnachten sein, auch wenn ich es eigentlich nicht feiere… 😉

    Nochmal einen ganz lieben Gruß an Dich, auch wenn ansonsten, hier keiner mehr schreibt, denke ich wenigstens ab und zu an Dich….♫

    Chris

  4. Lieber Chris,

    danke, dass Du an mich denkst – ja, es ist sehr ruhig hier. Ich bin seit ein paar Tagen aus Kuba zurück und noch dabei, das Erlebte zu »verdauen«. Eventuell demnächst mal ein Artikelchen darüber hier.

    Ich wünsche Dir und mir einen Jahreswechsel, der Dir, uns zusagt. Im Moment nerven mich große und laute Menschenmengen besonders; mir reichen ein paar Leute um mich herum – hin und wieder.

    Herzliche Grüße!

    Claus

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