Donnerstag, 22. Juni 2023
»Why do you care?«
»Why do you care?«
Ich gehöre zu den Leuten, die hier und da mit kleinen Handgriffen etwas tun. Öffentlich. Heute Nachmittag stellte zum Beispiel jemand einen dieser inzwischen allgegenwärtigen Elektro-Tretroller direkt vor unserer Haustüre ab. Ich folgte meinem Impuls und schob ihn kurzerhand ein paar Meter weiter an den Rand des Bürgersteigs – einfach nur aus dem Weg.
Das nur als kleines Beispiel für ein paar Handgriffe, die mir hin und wieder »kommen«, wenn ich das Gefühl habe, etwas in meiner Umgebung »klemmt«. Ich weiß – ich mache mich dabei nur bei wenigen beliebt. Doch, hin und wieder bekomme ich positive Rückmeldungen, viel öfter jedoch ungläubige Blicke, ja vereinzelt dumme Bemerkungen, gar Pöbeleien. Mein Verhalten wird offenbar eher als anmaßend empfunden, von manchen wohl sogar als regelrecht übergriffig.
Also: Was geht mich der im Weg stehende Roller an? Oder ein weggeworfener Weihnachtsbaum, den der Wind mitten auf die Straße geweht hat? Oder ein Stein, der an einer gefährlichen Stelle auf dem Radweg liegt – weil auch ich ihn erst im allerletzten Moment gesehen habe und noch ausweichen konnte? Oder einen Krankenwagen zu rufen, wenn ein total Besoffener bei Temperaturen um den Gefrierpunkt im Freien schlafen will? Oder, oder, oder …? In mir kommt offenbar vor Allem für viele jüngere Leute der hässliche (ältere) Deutsche, der Ordnungsfanatiker, zum Vorschein. Ja, da ist was dran.
Was gibt mir denn das Recht, diese Dinge zu tun? Welche Arroganz beflügelt mich dabei? Wieso die Dinge nicht einfach sich selbst überlassen? So, wie es die überwältigende Mehrheit handhabt? Ich weiß es selbst nicht, was mich da »reitet«.
Diese Stadt ist seit vielen Jahren de facto zweisprachig – deutsch und englisch. Natürlich höre ich auch viele andere Sprachen. Doch die Lingua Franca für Alle hier ist Englisch. Zumindest unter jungen Leuten kommt man damit praktisch überall durch. Am vergangenen Sonntag war ich mal wieder auf einer Veranstaltung, die inzwischen offenbar sogar in manchen Reiseführern auftaucht und bereits sehr international geworden ist: Die alle acht Wochen stattfindende »Schlagernacktparty«.
Dieser Abend ist inzwischen immer sehr gut besucht: Mehrere Hundert Leute kommen dorthin, um splitternackt zu deutschen Schlagern tanzen – man sollte dort allerdings im eigenen Interesse was unter den Füßen haben. Diese Musikparty ist zwar offen für Alle, doch der Männerüberschuss ist immer gewaltig. Ja, Mann und Frau kann dort auch ein Bisschen mehr »zur Sache« kommen – es ist ausdrücklich keine Sexparty, aber man würde das heute wohl als eine »sex-positive« Party bezeichnen.
Zu bereits vorgerückter Stunde kam ich mal wieder auf so eine kleine Aktion wie oben angedeutet. Während ich gleichzeitig (wieder mal) einen Teil der oben beschriebenen Reaktionen beobachten konnte, fragte mich jemand im Vorbeigehen in erstaunt-pampigem Tonfall: »Why do you care?«
»Because I care!«, gab ich ohne nachzudenken zurück.
Habe heute (4.3.24) was gelesen, das mir gut gefällt, ja mich tief berührt hat. Ja, ich gehöre zu den Irren, die heute noch glauben, es gäbe wirklich wichtige Dinge – wie zum Beispiel das Leben selbst. Nun, hier ist jemand, der das viel schöner in Worte fassen kann als ich: Paul Cudenec von »Winter Oak«. Bitte, gerne – wer ein Bisschen Englisch kann, wird seinen Artikel wohl verstehen.