Donnerstag, 15. April 2021

»Kartoffeln werfen«

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»Kartoffeln werfen«

Vor ein paar Tagen sprach ich mit einem Bekannten über all das, was absehbar auf uns zukommen wird, und das Gespräch kam irgendwann fast von alleine auf den Stress und die Traumata, die völlige Hilflosigkeit angesichts einer Gefahr auslösen kann. Er meinte dazu, irgendwann habe er mal was Interessantes gelesen: Da sei ein Schiff, ein US-amerikanisches Schiff, in der Nähe von Pearl Harbour gewesen, als der Angriff der Japaner begann. Ich will hier an dieser Stelle jedoch nicht auf Aspekte des Geschehens eingehen, die zum Beispiel Daniele Ganser zumindest als Fragen gestellt hat.

Die Matrosen auf dem Schiff mussten nämlich hilflos mit ansehen, wie die Flugzeuge ein Stück weiter ihre Bomben abwarfen oder als Kamikaze direkt in die Kriegsschiffe flogen und dabei natürlich fast immer Volltreffer erzeugten. Denn dieses kleine Begleitschiff sei unbewaffnet gewesen, meinte mein Bekannter. Daraufhin habe der Kapitän den Matrosen befohlen zu »kämpfen« – indem sie mit Kartoffeln nach den Fliegern warfen. Was sich erst mal idiotisch anhört, macht aus psychologischer Sicht jedoch Sinn: Selbst wenn diese Handlung nur symbolisch ist, so ist sie doch der Impuls und die Energie, Widerstand zu leisten. Die Psyche tut etwas, agiert in Richtung Abwehr, anstatt nur in panischer Hilflosigkeit zu verharren.

Die Energie entlädt sich also in die »richtige« Richtung, auch wenn die Handlung selbst nur symbolischer Art ist. Trotzdem hilft sie, das Gefühl völliger Hilflosigkeit zu verhindern. Ich kenne das selbst sehr gut: Selbst Schreien hilft, diese inneren Strukturen auszunutzen und die Wut- und Kampfenergie zu »entladen«, auch wenn mir letztlich klar ist, dass es außer Lärm zu machen nichts bewirken wird.

So werfe ich also jetzt auch Kartoffeln. Alleine dieser Text ist eine. In einer Zeit, in der ich einer der »Irren« bin und fast alle meine Mitmenschen nicht mal ansatzweise begreifen, was gerade vor sich geht, werfe ich »Kartoffeln«. Und es tut in der Tat gut. Ja, es ist ein egoistischer Akt, etwas für mich zu tun, um bei halbwegs klarem Bewusstsein bleiben zu können. Ich tue es zunächst mal für mich selbst, aus mir selbst heraus. Das mag man mir durchaus vorwerfen, zumal es, wenn es sichtbar wird, den meisten auf den Keks geht.

Und es ist auch etwas, das ein altes deutsches Sprichwort so ausdrückt: »Lieber das kleinste Licht anzünden als über die Dunkelheit klagen.« Ja, es ist bestenfalls ein Teelicht in stockfinsterer Nacht. Und doch spendet es Trost – ein ganz keines Bisschen. Und wie ich schon mal sagte: Falls ich es noch erleben sollte, dass die Frage an mich geht »Was hast du damals dagegen gemacht?«, so werde ich vor Scham erröten und verlegen von einem Bein aufs andere treten.

Doch den Wunsch zu haben, im Boden zu versinken oder auf der Stelle unsichtbar zu werden? Nee, so viel Selbstachtung ist dann wohl noch da. Also – viel mehr als mit Kartoffeln zu werfen habe ich nicht. Ich werde es weiter tun. Falls nötig, bis zum letzten Atemzug.

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2 Kommentare zu »»Kartoffeln werfen««

  1. @Claus,
    deine ehrlichen Kommentare machen mir immer Mut. Auch ich kann nicht mehr machen, als mit Kartoffeln zu werfen. Als Rentner lehne ich mich auf gegen das fürsorgliche Getue, das vorgibt, die Alten schützen zu müssen. Gestern kam mein neues T-Shirt von der Druckerei, auf dem steht: Ich will nicht geschützt werden! Und was können wir schon mehr tun als das? Jeder Krieg endet spätestens dann, wenn die Kriegskasse leer ist. Das wird auch dieses Mal nicht anders sein.

  2. Lieber Konrad,

    schön, dass es sich gut anfühlt, meinen Kram zu lesen! Und Dein neues T-Shirt ist vielleicht sogar ein Bisschen mehr als nur Kartoffeln werfen: nämlich zu sagen, dass Du Dir diese Art des »geschützt Werdens« verbittest. Dass Du das schon selbst entscheiden möchtest, wann und wie du geschützt werden willst. Und lass uns hoffen, dass es wirklich so was wie eine »Kriegskasse« gibt und sie bald leer ist…

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