Samstag, 5. März 2022
Ich muss dringend …
Ich muss dringend …
… ja, was eigentlich? Weg? Aufs Klo? Was ganz Anderes? Bin ich ein Zombie unter lauter Lebendigen, oder ist es umgekehrt? Sehe ich meine eigene Aggressivität in den Anderen gespiegelt, und bin ich durcheinander, und sie sind völlig ruhig? Womöglich auch das. Oder doch eher umgekehrt?
Fragen über Fragen. Und dabei ist Zweifeln heute bereits Verrat – an der Idee, wir seien alle nach wie vor von einem »Killervirus« bedroht, gegen das ein totaler Krieg gerechtfertigt ist, an der Idee, wir müssten gegen die »Reinkarnation von Hitler«, gar gegen die Verkörperung des Leibhaftigen in Russland in den Krieg ziehen? Ich empfinde die Atmosphäre als sehr aufgeladen – etwa in der Art: Ein falsches Wort, und schon landet eine Faust in meiner Fresse.
Überall wird sich gegen Russland positioniert. Es ist abzusehen, dass in Kürze womöglich auch alle Internetverbindungen nach dort blockiert werden. Eskalation liegt in der Luft – in den Mainstream-Medien, aber auch unter uns allen. Und jetzt wechseln auch Leute des Widerstands gegen die »Corona-Maßnahmen« (wie Boris Reitschuster) gewissermaßen die Seiten: Man muss doch diesem Monster dort in Moskau Einhalt gebieten! Besonnenheit und Fairness zählen schon lange nichts mehr. Aufgepeitschte Emotionen bestimmen das, was gesagt und getan wird.
Besonnenheit? Gab es so was mal? Spätestens jetzt werden die letzten Reste davon weggefegt, nachdem die »Corona-Krise« schon die Abrissbirne für dessen längst morsches Gebäude war. Das Wort ist überflüssig geworden im Zeitalter des absoluten Wissens, der absoluten Selbstgewissheit. Die Leute drehen es leicht angewidert in ihren Händen wie einen Gegenstand, dessen Funktion sich ihnen nicht erschließt, der aber auch wertlos zu sein scheint, bevor sie ihn verächtlich wegwerfen.
Was macht ein Nicht-Wissender unter all den so von sich überzeugten, allwissenden Leuten? Durchdrehen? Sich einweisen lassen? Um Sterbehilfe betteln? Nicht mal das weiß ich. Schande! Und das in einer Zeit, in der vor sich her getragene Souveränität und Entschlossenheit alles sind. Vielleicht hätte ich als ganz junger Mann doch mit jemandem von denen mitgehen sollen, die mich anfauchten »So was wie dich hätte man damals …« Der Eine oder Andere von ihnen hatte bestimmt noch das »Werkzeug« dazu in einer stillen Ecke seines Kellers stehen … Leider (oder zum Glück?) war das Ausführen da schon wieder illegal.
Nun bin ich also so was wie ein Flüchtling, noch im eigenen Land. Noch nur innen, doch absehbar bald auch außen. Wohin? Immer noch null Ahnung. Und ich werde mich ja überall hin mitnehmen, habe keine Ahnung, wie man auf mein Deutschsein anderswo reagieren wird. Nun, man wird mir wohl kaum automatisch feindselig begegnen. Ob man mir eher freundlich begegnen wird? Das hängt natürlich stark von mir, aber auch weiteren Umständen ab.
So sehr die allermeisten voller Antworten und Wissen sind, so sehr stehe ich nackt da – innerlich zumindest. Ich bin der nackte Kaiser und das rufende Kind in einer Person.