Mittwoch, 2. Februar 2022
»Das ist keine These.«
»Das ist keine These.«
Nein. Keine These ist möglich, nirgends. Denn man weiß es ganz sicher: Wer Thesen (oder Theorien, gar Verschwörungstheorien …!) aufstellt, ist Antisemit! Wie ich darauf komme? Nun, am 26.1.22 war auch ich mal in der Innenstadt. Es war ja der Tag, an dem die ersten »Sondierungsgespräche« zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht im Bundestag stattfanden.
Die Innenstadt um den Reichstag herum war mit massiver Polizeipräsenz weiträumig abgesperrt. Und außer einer winzigen Kundgebung von höchstens 50 Leuten im Lustgarten gegenüber dem neuen, superteuren Schloss, von etwa ebenso vielen Polizisten gelangweilt beobachtet – überall nur Polizei, und meist junge Passanten, viele von ihnen mit Masken und Starbucks-Bechern in der Hand.
Und dazwischen ein paar »Spaziergänger« – verstreute Grüppchen meist Älterer über 50 von vielleicht sechs, sieben, maximal zehn Leuten. Hier und da auch Einzelpersonen wie ich, die wohl auch dazu gehörten. Wie ich später las, sollen etwa 1.600 Polizeibeamte im Einsatz gewesen sein. Kurzum, ich kann meinen Eindruck in einem Satz zusammenfassen: Die Polizei war die Demo. Eine Machtdemonstration, bei der auch der inzwischen offenbar schon obligatorische kreisende Polizeihubschrauber nicht fehlen durfte.
Also eine würdige Demo für diesen Tag, als »Drumherum« für den Bundestag und die ersten Sondierungen für die geplante Impfpflicht für Alle – die wohl demnächst kommen wird. Die große Mehrheit sowohl im Bundestag als auch im Volk will sie. Sicherheit geht in diesem Land ja immer vor. Egal, ob es sich um »die Pandemie« oder um das Fahren mit Fahrradhelm handelt. Konrad Adenauers Spruch »Keine Experimente!« gilt in modernem Gewand auch heute noch. Das Kreative, Lebendige wird zwar pausenlos offiziell beschworen, doch erbarmungslos plattgemacht, sobald es mehr als ein Lippenbekenntnis ist.
Damit sind wir wieder mitten im »besten Deutschland aller Zeiten«. Ein lockeres, lebendiges und waches Land mit einem breiten demokratischen Diskurs und einem Herz für Minderheiten. Nicht zu vergessen der engagierte und unablässige Kampf gegen Rechtsextreme, gegen Antisemitismus und Holocaust-Leugner. Wir haben aus der Nazizeit so viel gelernt! Und wir handeln entsprechend. Wehe, jemand stellt das auch nur ansatzweise in Frage!
Nun, an diesem für das beste Deutschland aller Zeiten so wichtigen Tag mit den Vorbereitungen zur allgemeinen Impfpflicht und der genannten Großdemo auf Kosten der Steuerzahler fuhr ich schließlich ein wenig durchgefroren zurück nach Hause. Am Alex hatte ich Rot an der Ampel, und da ich mich meistens an die Verkehrsregeln halte stoppte ich, fast direkt neben einem Stromkasten mit Werbeplakaten.
Erst wollte ich bei Grün schon weiterfahren, stellte dann aber doch das Rad ab und lief die paar Meter zurück. Da hatte ich eben was gesehen, das wollte ich mir aus der Nähe anschauen. Mein erster Gedanke war: Das ist Satire! Inzwischen sind ja auch diverse Kulturveranstaltungen wieder möglich, auch Kabaretts, jedoch nur für »Geimpfte« und »Genesene«. Letztere schauen aber nun mehrheitlich sprichwörtlich in die Röhre, denn ihr Status wurde kürzlich ja per Dekret vorzeitig auf »Ungeimpft« zurückgesetzt.
Da auf dem Plakat stand: »Das ist Antisemitismus. Und keine These.« Doch welche These? Meine Augen huschten über das Plakat, doch ich fand keine. Die besagte These wurde nicht genannt. Stattdessen unten rechts das Logo von »Berlin gegen Gewalt«. Oben drüber ein Bild einer Schulklasse oder eines Hörsaals, das die Schüler oder Studenten von hinten zeigte und vorne einen Lehrer oder Dozenten, der mit einer nichtssagenden Geste in Richtung der Zuhörenden zu sehen war. Sein Kopf war jedoch nicht zu sehen, das Bild dort abgeschnitten. Nun, was sollte das alles sein? Es erschloss sich mir nicht. So machte ich ein Foto, um später weiter recherchieren zu können. Da stand nämlich auch eine Internetadresse drauf. Die wollte ich dann zu Hause im Warmen mal nachschauen.
Insgeheim dachte ich immer noch an eine Kunstaktion, ja fühle mich sogar auf die Schippe genommen. Wieso sollten Thesen »einfach so« antisemitisch sein? Hätte der Dozent ohne Kopf(!?) zum Beispiel einen Hitlergruß gezeigt, so wäre mir das mit dem Antisemitismus verständlich gewesen. Aber so? Das muss sich doch erst rausstellen; deshalb debattiert man doch. Nun, so sehe ich das, immer noch. Aber die Political Correctness, der »Konsens« …? Ja, ich weiß. Ich bin altmodisch, irgendwie aus der Zeit gefallen. So was wie ein lebender Anachronismus, der im Meer des unbedingten Wissens und Könnens, somit der Gier nach weiterer Ermächtigung, gegen das Ertrinken ankämpft.
Zu Hause erst mal aufgewärmt. Meine Nachbarin hatte mich zudem noch auf eine Tasse Kaffee eingeladen, was mein Aufwärmen beschleunigte. Danach wollte ich dann aber doch mal wissen, ob das mit dem Plakat Satire oder gar Verarschung war. Denn nach wie vor war ich darüber ratlos. Ich tippte also die Adresse, die ich auf meinem Foto sah ein und kam tatsächlich auf eine Seite der Stadt Berlin. Aha, und dort ein Stück weiter unten gab es einen Link zu einer Kampagne gegen die Diskriminierung von Muslimen und dann noch weiter unten eine gegen Antisemitismus.
Ich klickte drauf, und … Bingo! Da war das Motiv, das ich gesehen und fotografiert hatte. Und noch drei Weitere: »Das ist Antisemitismus. Und kein Reim.« Nun, welcher Reim? Das stand nicht dabei. Auch kein Beispiel dafür. Das nächste Motiv lautet »Das ist Antisemitismus. Und kein Streit.« Ach so? Wieso wissen die das denn schon vorher? Im Umkehrschluss ist also jeder Streit potentiell Antisemitismus. Und es geht weiter: »Das ist Antisemitismus. Und kein Witz.« Wieder kein Beispiel. Nicht mal eine Andeutung. Judenfeindliche Witze … Die letzten Witze, die ich als judenfeindlich erinnere sind lange her. Da war ich noch ein Jugendlicher. Wirklich lange her!
Und die Witze, die ich seitdem gehört und die überhaupt mit Judentum oder jüdischem Leben zu tun hatten waren von Juden selbst – mit diesem unvergleichlichen Humor, der sich auch selbst auf die Schippe nimmt, oft sehr tiefsinnig ist und weit über das Thema jüdische Religion hinausweist. Ja, sicher gibt es irgendwo antijüdische Witze. Wären die jedoch ein allgemeines Thema, wäre mir sicher längst wieder einer untergekommen. Auch hier verwundertes Stirnrunzeln meinerseits.
Mir drängt sich geradezu auf: Alles, was nicht eindeutig wie ein Schüssel ins Schloss unseres ungemein breiten Debattenraums passt, ist verdächtig: Thesen. Streit bzw. Debatten. Witze. Reime. In einem Land, das seine Offenheit, Toleranz und Geschichtskompetenz wie eine Bundeslade vor sich herträgt. Und das vor Kurzem zum Jahrestag der Befreiung von Auschwitz eine weitere Plakataktion gestartet hat: »#every name counts – Gegen das Vergessen«. Vorbildlich. Das beste Deutschland aller Zeiten eben. Nun, wer bis hierher gelesen hat und nicht versteht, warum ich da überhaupt ein Problem sehe, dem möchte ich noch zwei kleine Beispiele bringen.
Ich weiß, das wird nicht überzeugen. In einer Zeit, in der überall Rechtsextreme aus ihren Löchern kommen und die Straßen ohne Masken(!!) unsicher machen, wo Nazis ganz offen zum »Sturm auf den Reichstag« ansetzen und »Corona-Leugner« Menschen hinrichten, da ist es nur recht und billig, dass sich die Mehrheit der Gerechten auf ihr Notwehrrecht berufen kann, wenn der Staat es nicht schafft, gegen so was vorzugehen. Immerhin haben ja inzwischen die Bürgermeister von zwei deutschen Städten Polizeigewalt bis hin zum Schusswaffengebrauch abgesegnet, da die »Spaziergänger« durch ihr Verhalten den Tod unschuldiger Menschen provozieren, weil sie sich ohne Masken und ausreichenden Abstand im Freien aufhalten. Doch zurück zum Thema Antisemitismus.
Also, Beispiel eins: Die Berliner Künstlerin Monica Felgendreher hatte den (geplanten) Beitrag der jüdischen Holocaust-Überlebenden Vera Sharav für die Kundgebung auf der großen Demo am 23. Januar in Brüssel auf Deutsch übersetzt. Dieser Vortrag konnte aber dort nicht gehalten werden: Als eine größere Gruppe Schwarzvermummter dort in Brüssel Randale machte, Schaufenster einschlug und Autos demolierte, war das für die Polizei der Vorwand, die sehr große Demo vor der geplanten Kundgebung aufzulösen. Der Beitrag von Frau Sharav wurde aber dann behelfsmäßig in einem Brüsseler Restaurant aufgezeichnet und landete so doch noch im Original im Netz.
Diese Übersetzung der mahnenden Worte von Vera Sharav wollte Monica Felgendreher am 26.1. auf einer kleinen Demo vor dem Hauptstadtstudio der ARD hier in Berlin über ein Megaphon vortragen. Sie hatte sich zudem ein Plakat mit einem Zitat von Vera Sharav umgehängt. Nachdem es schon vor ihren Vortrag zu ein paar hitzigen Debatten zwischen ihr und anwesenden Journalisten gekommen war, wurde sie unmittelbar nachdem sie angefangen hatte verhaftet.
Der Vorwurf: Sie relativiere, ja leugne gewissermaßen indirekt den Holocaust. Es werde Strafanzeige gestellt, hieß es. So was ist ja hierzulande ein Straftatbestand. Bin gespannt, wie das weitergehen wird.
Der andere Fall liegt schon gute 3 Wochen zurück. Da hatte ein junger Mann (bzw. ein Jugendlicher von 17 Jahren) in München ein Plakat auf einer angemeldeten Demo dabei, auf das er ein Zitat von Henryk M. Broder geschrieben hatte: »Wenn ihr euch fragt, wie es damals passieren konnte: weil sie damals so waren, wie ihr heute seid.« Daraufhin wurde er verhaftet. Man schlug ihn zwar nicht zusammen, doch er wurde offenbar nicht gerade freundlich behandelt.
Schließlich durfte sein Vater ihn bei der Polizei abholen. Er war ja noch minderjährig. Auf Umwegen erfuhr Henryk M. Broder davon, setzte sich mit der Familie und dem Sohn in Verbindung und hörte sich die ganze Geschichte entsetzt an. Und dann ging er zur Polizei und erstattete Anzeige gegen sich selbst: »Ich habe mich selbst angezeigt, wegen Beleidigung, Volksverhetzung und was da alles noch sein könnte. Wie schon gesagt, ich werde es nicht hinnehmen, dass ein 17-Jähriger für etwas büßen soll, für das ich verantwortlich bin.«
Auch hier bin ich gespannt, was daraus werden wird. Das alles ist keine These. Das ist wirklich im besten Deutschland aller Zeiten passiert und steht stellvertretend für eine Atmosphäre, die mir zwar noch keine schlaflosen Nächte bereitet, doch bereits kalte Schauder den Rücken runter jagt …
Nachtrag 2.2.22 – Eben fand ich über multipolar-magazin.de den Link zu einem Artikel, der gut als Ergänzung passt. Darin geht es um die Umwertung der demokratischen Diskussionskultur, eines Herzstückes der Demokratie (nun, aus meiner bescheidenen Sicht natürlich), in etwas Gefährliches, zu Bekämpfendes. Genau das versuche ich hier auch zu verdeutlichen. Und da es sich um eine »offizielle« Verlautbarung handelt (immerhin des Senates von Berlin), ist das aus meiner Sicht durchaus ernst zu nehmen – mehr als meine Geistesfürze hier. In diesem Zusammenhang auch lesens- bzw. hörenswert ist der Link zu apolut in den Kommentaren unten.
Antisemitismus – das scheint die Keule, das Totschlagargument zu werden. Heute (3.2.22) fand ich einen Artikel von Sascha Lobo, der ja viel für »Spiegel Online« schreibt, in dem er, um es kurz zu fassen, letztlich (fast) überall Antisemitismus sieht. Vor Allem aber sei es handfester Antisemitismus, den Staat Israel (genauer: dessen Regierung und deren Politik) zu kritisieren. Daher sei etwa auch Amnesty International im Grunde eine antisemitische Organisation, denn die tue »so was«: »Wer für Amnesty International spendet, fördert auch die antisemitische Sache.« Sorry, aber dazu fällt mir nix mehr ein.
Eben (9.2.22) las ich ein Interview mit Kees van der Pijl zu seinem Buch »Die belagerte Welt«. Darin wird die Vielschichtigkeit der derzeitigen Krise thematisiert, und dass es natürlich (auch) Handelnde auf »höchster Ebene«, also der Weltoligarchie gibt. Doch ohne unser Aller Mitmachen, ja mehr oder weniger explizitem Einverständnis würde dieser Krieg nicht funktionieren. Es sei ein zunehmender Extremismus der Mitte, meint van der Pijl, der den hauptsächlichen »Brennstoff«, das (Haupt-)Antriebsmoment dafür liefere: »Mittlerweile ist im Rahmen der Angstpolitik nicht mehr erlaubt, von der vorgeschriebenen Wirklichkeit abzuweichen. Gesellschaftskritische Ansätze werden als Verschwörungstheorie diskreditiert. Fragen sind nicht erlaubt, Debatte ist ausgeschlossen, sonst könnte die vorgeschriebene Wirklichkeit zusammenbrechen. Denn zur gleichen Zeit nimmt unsere Fähigkeit, die realen Verhältnisse hinter der vorgeschriebenen Wirklichkeit zu erkennen, ständig ab – damit auch die Möglichkeiten, Realität und ideologische Täuschung in ihren Wechselwirkungen zu analysieren. Das ist das Muster: keine Diskussion bitte!« Wobei ich heute nur noch selten ein »Bitte« wahrnehme. Man fährt dem Andersdenkenden in der Regel rüde übers Maul, er habe kein Recht, sich zu äußern, weil … er Nazi, xxx-Leugner und was weiß ich noch alles sei.