Sonntag, 18. Juli 2021

Autokorso

Kommentieren

Autokorso

Vorgestern. Es ist ja Sommer, und alle Fenster sind auf. Da – was ist das? Ich höre eine Stimme über Lautsprecher, von irgendwo hinter dem Verkehrslärm, der schwallweise reinkommt.

Und es bleibt so. Also offenbar nichts, das vorbeifährt. Neugierig geworden ziehe ich mich an und schlüpfe in meine Sandalen. Als ich unten bin, merke ich: Es kommt von hinter dem Haus. Eine Hausecke weiter kann ich es orten: die Ostseestraße, die hier jenseits der Kreuzung zur Wisbyer Straße wird.

Ich sehe einen Blaulicht blinkenden Polizeiwagen, als ich nun näher komme. Und gleich darauf stehe ich direkt in einer kleinen Kundgebung eines Autokorsos gegen die Corona-Maßnahmen – Autos mit entsprechenden Plakaten und Aufklebern, ein paar Deutschlandfahnen. Direkt an der Ecke der Kreuzung ein Wagen mit Lautsprechern oben drauf, von dem die Stimme kommt, die ich gehört hatte.

Ein paar Polizisten stehen dabei, halb gelangweilt, halb wachsam. Sie tragen Masken, auch hier im Freien. Alles in Allem sieht das nach einer friedlichen Kundgebung aus. Ich mache in paar Fotos und höre dabei zu. Etliches finde ich für ein allgemeines Publikum jedoch zu radikal formuliert – für Leute, die noch nicht einmal einen Grund für berechtigte Fragen sehen. Und manches finde ich nun doch zu weit hergeholt, wie die Vermutung, die Flutkatastrophe in der Eifel sei künstlich herbeigeführt worden. Dass unverantwortliche Schlamperei und Ignoranz im Spiel waren und dass man das alles nun für seine kommende »Klimakatastrophen«-Agenda (z.B. »Klima-Lockdowns«) instrumentalisiert sei dabei unbenommen.

Andererseits ist es aber viel zu spät, um um den heißen Brei herumzureden. Das ist mir inzwischen auch klar. Die Zeit läuft, und sie läuft leider zu unseren Ungunsten. Wenn der »Gegenseite« nicht bald nennenswerter Widerstand engegentritt, wird sie mit fliegenden Fahnen gewinnen. Und die überwältigende Mehrheit wird das gut finden – auch wenn es sie mittelfristig (und langfristig sowieso) das Leben kosten wird. So ist die vorherrschende Reaktion, abgesehen von den »Lügner«-Brüllern, schlichtweg Desinteresse. Es geht hier um unser aller Zukunft, doch es interessiert sie nicht die Bohne. Denn sie wissen ganz sicher, dass »die da mit dem Autokorso« spinnen.

Recht haben ist ja längst wichtiger als Mitmenschlichkeit. Fairness sowie Offenheit, auch und gerade für eigene Fehler, ist ein Ding der Vergangenheit. Das war einmal – wenn überhaupt. Vorbei. Überlegenheit ist heute die einzige Währung, die gilt – der neoliberalen Ideologie sei dank. Und die überwältigende Mehrheit findet das offenbar gut: »The winner takes it all, the loser has to fall«, sangen die subtilen Botschafter dieser Weltsicht schon in den Achtzigern – bereits damals unglaublich populär. Ich hätte gewarnt sein sollen.

Außer mir sind noch ein paar Anwohner gekommen, so gut wie alle viel jünger als ich. Ich höre »Lügner, Lügner!« und so was wie »Ihr Verrückten, ihr Spinner!« Polizisten gehen zu ihnen und reden beruhigend auf sie ein. Es bremst sie aber nur kurzzeitig. Und ein kalter Hass, der da mitschwingt, lässt mich innerlich frösteln, obwohl es eigentlich selbst um diese Tageszeit noch sommerlich warm ist.

Irgendwann reicht es mir, und ich rufe zurück: »Noch dürft ihr nicht. Bald aber dürft ihr.« Ich habe nicht den Eindruck, dass sie verstehen, auf was ich anspiele. Immerhin sind sie kurz verdutzt, um dann ihr Gebrülle und Gefeixe fortzusetzen. Alle dort sind unter etwa Mitte vierzig, die Leute vom Korso hingegen meist älter. Bei ihnen sind auch ein paar Familien mit Kindern dabei. Man wird ihnen später wohl vorwerfen, ihre Kinder missbraucht zu haben … Hatten wir ja schon.

Irgendwann packen die Leute am Mikro ihre Sachen ein, und der Korso löst sich gleichzeitig zügig auf. Die Polizisten schauen sich noch mal kurz um, dann steigen sie in ihren Mannschaftswagen und fahren davon. Die aggressiven Brüller sind bereits weg, nur ein kleines Grüppchen fünf junger Leute steht noch am Straßenrand. Ich gehe neugierig auf sie zu.

Bin neugierig, wie sie »ticken«. Denn es stellt sich nach ein, zwei Sätzen heraus, auf welcher Seite sie stehen: auf Seiten der »normalen«, »vernünftigen« Allgemeinheit, die gemeinsam und solidarisch in diesen »Krieg gegen das Virus« zieht. »Die da dürfen sich nicht wundern, wenn dann mal eine Flasche einen Kopf trifft, wenn die mit diesem Quatsch weitermachen!«, muss ich mir anhören. Ich versuche, vorsichtig zu argumentieren, muss aber schnell feststellen, dass ich mir das sparen kann.

Immerhin bleibt das Gespräch weitgehend ruhig, auch wenn ich der Einzige hier bin, der anderer Meinung ist als sie. Ich höre überwiegend zu, frage nur hin und wieder mal nach, um damit jedoch »auf Granit zu beißen«. Schließlich verabschieden wir uns. Ich wünsche den Fünfen eine gute Zeit und ein schönes Wochenende, nicht ohne meinen abschließenden Standardspruch: »Ich bete darum, dass Sie Recht haben und ich Unrecht!«

Szenenwechsel: Gestern Abend. Die Sonne ist gerade eben hinter dem Horizont verschwunden und färbt den Himmel in schönes Abendrot. Ich bin mit einem Freund, der mäßig kritisch ist, unterwegs auf dem Tempelhofer Feld und genieße die Weite mitten in der Stadt. »Lass uns doch mal nach da vorne zur Bühne gehen!«, meint er nun schmunzelnd, und im Nachhinein muss ich nun wiederum über meine anfängliche Begriffsstutzigkeit schmunzeln. Das hätte ich nämlich ganz genauso ausgedrückt!

Wir setzen uns auf eines der selbst gezimmerten Holzbänkchen dort und schauen und hören zu, was sich da vor uns auf dem Asphalt entfaltet. Und es ist in der Tat eine Bühne: Jeder Einzelne hier, ohne Ausnahme, zieht hier seine eigene Show ab, produziert sich pausenlos. Nein, ich habe nix genommen, bin nicht mal angetrunken, doch ich muss als Zuschauer ein paar Mal loslachen, so albern und abgedreht finde ich das alles. Und gleichzeitig todtraurig. Denn es dokumentiert den Tod, das Aussterben des »unoptimierten« Menschen.

Niemand, wirklich niemand macht hier irgend etwas »einfach so«. Alles ist auf Effekt, auf gut Aussehen, auf optimale Selbstdarstellung ausgelegt, auf eine Demonstration von Können und Überlegenheit. Stars auf der Bühne, wir Beide die einzigen Zuschauer. Auf eine Weise machen die hier das alles nur für uns, denn ihre gesamte Aufmerksamkeit gilt einzig und allein dem gut Aussehen, der eigenen »Performance«. Schon vor Jahren kam mir mal der Begriff »begnadete Selbstdarsteller«, und hier sehen wir sie alle bei der Arbeit. Nein, Arbeit ohne Anführungszeichen. Das ist Ernst!

Da sitzen die einzigen beiden »Uncoolen«, schon qua Alter (mein Freund ist fünfzig, von mir gar nicht zu reden) und schauen den jungen Stars zu, den Überlegenen, Besonderen, Großartigen – kurz: den Coolen. Ihnen gehört die Zukunft. Schon vor ein paar Jahren wurde mir klar: Der aufkommende neue Totalitarismus wird ultrahip, ultracool sein. Es brauchte nur noch einen Gegenstand, auf den sich das alles fokussieren konnte. Der ist jetzt geschaffen mit der »Corona-Krise«, dem Krieg, in dem sich all die jungen Krieger und Kriegerinnen engagieren können.

Das tun sie bereits begeistert, und ich frage mich, bis wohin sie mitgehen werden – diesmal, wieder mal. Und ob es »diesmal« überhaupt ein auch nur ansatzweises Begreifen geben wird – nachher, wenn der Boden mal wieder mit menschlichem Blut gedüngt worden ist. Ich bezweifle es – denn die Trennungslinie geht inzwischen nicht mehr zwischen »Rassen« oder »Ethnien« oder »Religionen«, sondern zwischen denjenigen, die noch einen Kontakt zu sich selbst und ihrer inneren menschlichen Natur (und auch der Äußeren) haben und denen, die darin nichts als eine sentimentale Verirrung sehen, ja eine verachtenswerte Schwäche. Wer heute noch zu so was wie (Selbst-)Reflexion fähig ist, ist definitiv ein Loser. So was geht gar nicht.

Man weiß. Man hat. Man ist wer. Wenn jemand sich heute, selbst nur scheinbar, noch mit »so was« beschäftigt, dann werden »solche Sachen« effizient eingebunden in das persönliche Selbstkonzept, in die selbstkonzipierte »Identität«. Sie sind dabei nichts weiter als Versatzstücke, die man zum eigenen Image hinzufügt wie ein neues Tattoo oder das neueste Smartphone. Hauptsache sie machen einen »besonders«, alles Andere ist egal. Und es verpflichtet zu nichts. Völlig beliebig also, nur dem gerade »angesagten« Geschmack oder »Hipnessfaktor« unterworfen, dem die Herde der Hyperindividualisten gerade folgt.

Ich bin inzwischen gespannt, mit welcher Mischung aus Vorwürfen ich mich verurteilt sehe, wenn es dann so weit ist. »Nazi«? »Antisemit«? »Faschist«? »Rassist«? »Mörder«? Nun, habe ich mir alles schon angehört. »Egoistischer Gefährder« war auch schon, »Terrorist« bislang noch nicht. Auch »Kinderschänder« war noch nicht, würde ich aber keinesfalls ausschließen. Dem Rufmord folgt, wenn der Betreffende Pech hat, der physische auf dem Fuße.

Wer wird alles dabeistehen, zusehen, gar klatschen? Ich bin gespannt, auch wenn es womöglich das Letzte sein wird, was ich in diesem Leben wahrnehme.

Vorheriger Eintrag: Nächster Eintrag:
 

Dein Kommentar zu »Autokorso«

Dein Kommentar