Mittwoch, 21. Juli 2021

Sensationell?!

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Sensationell?!

Viele halten mich für einen zum Sentimentalen neigenden älteren Mann. Ja, da ist was dran. Unbenommen. Ich trauere so Manchem nach, das mir viel wert war. Nun ja – mir, nicht den meisten Anderen. Ich habe mich, wenn ich so zurückschaue, mit solcher Sichtweise unbeliebt gemacht, seit ich sprechen kann. Dumme Fragen stellen – das mache ich zum Entsetzen etlicher Leute noch heute. Ja, vielleicht ist das spätpubertär – was auch immer.

So gaukelt meine Erinnerung mir vor, es hätte mal Obst gegeben, das nach der jeweiligen Frucht schmeckte. Und das sogar richtig gut! Lange dachte ich, das sei eine sentimentale Kindheitserinnerung, ein wohliges Verklären, das mit dem Älterwerden kommt. Dass das überhaupt passieren konnte, sagt schon in sich selbst etwas Bestimmtes aus. Doch bevor Missverständnisse entstehen: Bitte nicht verwechseln mit dem Gemeinplatz »Früher war alles besser«. Das greift viel zu kurz. Manches fand ich früher besser. Anderes heute.

Es ist eher wie ein Scheinwerfer, der über ein dunkles Szenario schwenkt. Neues kommt in den Lichtkegel, anderes versinkt im Dunklen. Doch wir haben offenbar kein Qualitätsbewusstsein – will heißen, keines mehr? Oder haben wir das womöglich nie wirklich gelernt? Denn zurück zu den Früchten: Die sehen besser aus denn je, schmecken aber nach immer weniger. Ein Sinnbild auch, was Menschen angeht? Die Frage lasse ich mal wie einen stinkenden Furz im Raum stehen.

Obst hat schon immer so geschmeckt; es gibt keinen Unterschied zu früher? Ja, das dachte ich auch lange, bis ich zuletzt vor drei Jahren mal wieder die Gelegenheit hatte, frisches Obst zu kosten – in einem Land der Dritten Welt. Obst ohne EU-Normen und Effizienzmanagement. Und … mit einem Schlag war mir klar: Es sind keine sentimentalen Kindheitserinnerungen! Herrlich schmeckendes Obst gibt es. Es existiert wirklich!

Doch die absolute Sensation erlebte ich heute. Zwei Kilo Aprikosen hatte ich aus dem Supermarkt mitgenommen – nein, nicht die superteuren losen, sondern die abgepackten. Ich hatte extra zwei unterschiedliche Chargen ausgewählt – einmal welche, die ganz gelb waren, und eine andere Packung, in der sie rot-gelb-grün waren. Die Überraschung kam dann, als ich zu Hause beide probierte: Sie waren völlig identisch im Geschmack. Sie schmeckten nach … nichts. Absolut nichts. Nicht mal eine Ahnung von Aprikosengeschmack!

Wie kriegt man so was hin? Früchte, die nach gar nichts schmecken? Na ja, ein Bisschen süß, aber sonst … nichts? Null Eigengeschmack? Ja, ich war gewarnt. Gerade in letzter Zeit hatte ich bereits öfters Obst gekauft, das nur noch eine Ahnung von Eigengeschmack vermittelte. Immerhin eine Ahnung: Aha, wenn ich mir Mühe gebe, schmecke ich ein kleines Bisschen Aprikose. Oder Apfel. Oder Pfirsich. Doch hier: Nichts.

Was tun? Wegschütten? Unten im Hof steht ja eine Bio-Tonne. Nee, unabhängig von den verlorenen sechs Euro – ich wollte eine Rückmeldung geben. Also habe ich die beiden Schalen eingepackt und bin samt Einkaufszettel wieder zum Supermarkt. Natürlich war »kein Geschmack« kein akzeptiertes Rücknahmekriterium. Das war mir bereits vorher klar. So was gilt heute nichts mehr. Dass etwas nichts taugt interessiert nicht, solange es gut aussieht.

Ich könne doch eine Mail schreiben an den Einkauf der Kette, sagte mir eine ganz junge Mitarbeiterin. Darum ging es mir aber nicht. Das wäre nur eine Volte von einem Uninteressanten, nicht Greifbaren (also der »belanglosen« Tatsache, dass die Früchte nach schier gar nichts schmecken) zu einem abstrakten Text, der den Sachbearbeiter oder die Sachbearbeiterin ratlos und wohl genervt zurücklässt. Denn dass die Sachen nach nichts mehr schmecken ist ja heute die Regel, und nun regt sich da jemand drüber auf …

Nein, ich wollte die Leute vor Ort damit konfrontieren, obwohl mir völlig klar ist, dass sie nix dafür können. Sie bekommen halt die Sachen und räumen sie in die Regale ein oder kassieren dafür. Das ist alles. Nein, mir ging es um so was wie einen kleinen Denkanstoß. Vielleicht arrogant, doch bevor ich die Früchte in die Biotonne schütte, sollen sie es tun. Weiß nicht, ob das nachvollziehbar ist. Ich wollte das halt nicht einfach so auf sich beruhen lassen.

Wie abzusehen war, konnten die Leute dort mit meiner Reklamation nichts, aber auch gar nichts anfangen. Es ist ein wenig wie mit der Corona-Legende: Wir scheinen in völlig verschiedenen Welten zu leben, die Corona-Gläubigen und ich. Irgendwas in unserem Grundverständnis, wie wir die Welt sehen und erleben muss da elementar unterschiedlich sein.

Immerhin ging es mir gut, als ich die paar Meter nach Hause zurücklief. So habe ich die verlorenen sechs Euro doch noch in etwas umgesetzt, das ich bis hier an den Rechner mitnehme. Ich rede weniger vom Rechthaben denn anderen zu sagen, dass ich eine Entwicklung, die für die weitaus meisten selbstverständlich und nicht der Rede wert zu sein scheint nicht einfach so hinzunehmen bereit bin.

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