Dienstag, 9. August 2011

Die maximal optimierte Frau

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Die maximal optimierte Frau

Gerade war ich in einem großen Elektronikmarkt. Wie immer und überall in solchen Läden laufen dort Bluray-Player, die ihre Inhalte meist über große, teure Flachbildfernseher abspielen. Bild- und Tonqualität sind umwerfend, eine bessere Werbung für diese Geräte lässt sich kaum machen.

Dort lief das Konzertvideo »Beyoncé Live«. Eigentlich war ich schon im Gehen, doch dann blieb ich stehen und schaute zu. Da stand sie, die superlangen, mittelblonden Haare in einem Luftstrom flatternd. Unglaublich. Die erste Frage, die sich mir aufdrängte, war: Ist die echt? Und: Kann man Filme »photoshoppen«? Ich weiß, man kann, doch ich bezweifle, dass es hier gemacht wurde.

Alles stimmte. Nicht die geringsten Hautunreinheiten. Auf den Zehntelmillimeter genauer Lidstrich, lange Wimpern, absolut spiegelbildliche schmale Augenbrauen. Perfekte Zähne, perfekte Gesichtssymmetrie, perfekte Bewegungen. War das noch ein Mensch, oder hatte die Industrie hier eines ihrer Spitzenprodukte der Robotik auf die Bühne geschickt? Ehrlich gesagt, wenn sich diese Vermutung irgendwann tatsächlich bewahrheiten sollte, es würde mich nicht ernsthaft wundern.

Und nun sang diese fleischgewordene Männerphantasie noch was von Frauen-Power, von weiblichem Selbstbewusstsein, begleitet von einer reinen Frauenband. In mir mischten sich Faszination und Grausen. An was erinnerte mich das alles nur? Lange fiel es mir nicht ein, doch dann …

Als ich vielleicht fünfzehn war, nahmen mein Bruder und ich ein Lied auf Tonband auf. Ich richtete das Mikro und die Bandmaschine ein, und er sang: »Höre auf zu rauchen, höre auf zu rauchen, du machst dich doch nur krank!« Das kam mit großer Inbrunst und Verve, und er schlug dabei begeistert die fünf Akkorde auf der Klampfe, die er zu diesem Zeitpunkt beherrschte.

Der Clou dabei: Er hatte eine brennende Zigarette im Mundwinkel, aus der er heftig paffte, wenn er mal nicht sang. Wir lachten uns nachher schepps über diese absurde Vorstellung. Leider schaffe ich das in diesem Fall nicht – es lässt mich eher traurig und wütend zurück. Denn im Gegensatz zu unserem kindlichen Ulk ist das hier handfeste, fleischgewordene Politik, viel effektiver und subtiler als jede noch so gute Werbekampagne.

Denn Personen wie Beyoncé haben Vorbildcharakter, sie sind das Idol von Millionen, hier vor allem von Mädchen und Frauen. Aus meiner Sicht ist sie eine Art Mensch gewordene, auf ihre Art durchaus faszinierende, feministische Barbie. Vielleicht sehen das viele anders, doch für mich ist eine feministische Barbie so was wie ein schwarzer Schimmel. Denn Barbie verkörpert ein bestimmtes Frauenbild, ein Frauenbild, das mit einer Befreiung von »Weiblichkeits«-Klischees nicht das Geringste zu tun hat – ganz im Gegenteil.

Doch so können sich denn alle Mädchen und Frauen dieser Welt befreit fühlen und dabei den gephotoshoppten und durchgestylten »Schönheiten« á la Beyoncé nacheifern – selten wird eine diese Perfektion erreichen, doch alle versuchen es. Dabei verdienen sich ganze Industrien dumm und dämlich, Tendenz steigend. Und es ändert sich im Grunde nichts, nur die Anspruchsfahne wird geschwenkt: Eine Frau ist nach wie vor nur »gemacht« schön, nur makellos geschminkt und durchgestylt kann sie sich »ganz als Frau« fühlen. Natürlich ist sie dabei »ganz frei«, »ganz sie selbst«, so sehr wie niemals zuvor. Und nur wer bei diesem Spiel mitmacht, gehört dazu, alle anderen gelten als »asozial«. Wer ist das schon gerne?

Wie toll – der beste Sklave ist einer, der seine Ketten nicht nur selbst bezahlt und sie vergolden lässt, sondern auch noch brennend stolz auf sie ist. Und sollte es mal modern werden, nur noch eine Hand zu haben, so lässt er sich sogleich eine amputieren und den Arm mit einem modischen, vergoldeten und verzierten Abschlussstumpf versehen. Natürlich gibt es alle Vierteljahr eine neue Abschlussstumpfkollektion – ein absolutes Must have. Das ist wahre Emanzipation – nur wovon?

 

Nachtrag 3.12.12: Eben las ich einen Artikel über die sogenannte »Pinkifizierung« bei der FAZ. »›Pinkfizierung‹ nennen Wissenschaftler den neuen alten Trend, mit dem Mädchen immer mehr zu Mädchen gemacht werden …«, heißt es im Artikel. Wie immer freue ich mich, wenn Gedanken aus berufenerem Mund als meinem sich mit meinen Überlegungen und Eindrücken überschneiden, so auch hier.

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