Freitag, 20. Januar 2012

Costa Titanic

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Costa Titanic

In diesem Jahr jährt sich im April zum einhundertsten Mal der Untergang der »Titanic« in den eisigen Fluten des Nordatlantik, nachdem sie mit einem Eisberg zusammengestoßen war. Damals kamen über 1.500 Menschen ums Leben.

Nicht ganz termingerecht, doch zeitnah hat sich derzeit eine ähnliche Katastrophe vor der Küste Italiens zugetragen: Das italienische Kreuzfahrtschiff »Costa Concordia« rammte einen Felsen und liegt nun auf der Seite wie ein riesiger sterbender Wal, direkt neben der Insel Giglio. Immerhin ging dieses Unglück vergleichsweise glimpflich ab – es sind noch ca. 24 Menschen vermisst, von insgesamt über 4.300 Passagieren und Besatzungsmitgliedern. Dreizehn Tote hat man bislang geborgen.

Und doch gibt es eine Reihe von Gemeinsamkeiten, aus meiner Sicht zumindest. Damals wie heute waren »repräsentative« Verhaltensweisen wichtiger als Sicherheitsüberlegungen. Damals wollte man einen selbst verordneten Zeitrahmen einhalten, womöglich gar einen neuen Rekord aufstellen. Ein Umweg oder zumindest eine Verlangsamung der Fahrt, um mehr Handlungsfreiheit zu gewinnen, hätten das ehrgeizige Vorhaben zunichte gemacht. Und schließlich – war die »Titanic« nicht unsinkbar?

Heute wollte man den Passagieren und den Zuschauern an Land »etwas bieten«; es hatte sich offenbar eingebürgert, dass das Schiff »sich verneigte«, eine Art Ehrenrunde drehte und tutete. Das wäre sicher in ausreichend tiefem Wasser kein Problem gewesen, doch höchst gefährlich im seichten, mit Felsen durchsetzten Wasser vor dieser Insel. Wie sich herausstellte, stimmten die dem Kapitän vorliegenden Seekarten nicht oder nicht mehr – laut den Karten hätte an dieser Stelle kein Felsen sein dürfen, doch da war einer.

Er schlitzte das Schiff regelrecht auf, wie auf den Fotos und Videos gut zu sehen ist. Ein riesiger Findling steckt sogar noch im Boden des Wracks fest. Der gigantische Rumpf neigte sich flachen Wasser direkt neben der Insel auf die Seite und legte sich auf eine Art Felsvorsprung, droht aber von diesem herunter in tieferes Wasser abzurutschen und ganz zu versinken.

Alle Berichte, die ich bisher las, spiegeln für mich vor allem das tiefe Vertrauen der Crew in die Technik wider, damals wie heute, und dann die Fassungslosigkeit und Verwirrung, als das Undenkbare doch passierte – auch das vor einhundert Jahren und heute gleichermaßen. Man wirft der Crew und dem Kapitän der »Costa« unvernünftiges, chaotisches Handeln vor – für mich spiegelt sich in diesen Nachrichten deren Fassungslosigkeit bis zum wirklichen Begreifen der brutalen Tatsachen wider.

Wäre alles wirklich so chaotisch verlaufen wie die Berichte etlicher Passagiere nahelegen, dann hätte es mit Sicherheit noch viel mehr Opfer gegeben. Über 4.000 Menschen – das ist schon ein großes Dorf, ja beinahe eine Kleinstadt. Wenn ich mir klar mache, wie schnell das Wasser einströmte und mit rasch zunehmender Schlagseite auch zügig immer mehr der Passagierkabinen flutete, dann sind bei so vielen Menschen etwa 35 verlorene Leben aus meiner Sicht eher wenige, dann ist im Großen und Ganzen ein viel größeres Drama gerade noch mal abgewendet worden.

Unter anderen Umständen hätte sich womöglich Vergleichbares wie die Katastrophe der »Titanic« wiederholt. So war es Glück im Unglück, selbst wenn das Schiff demnächst, wie befürchtet, abrutschen und im tieferen Wasser verschwinden sollte. Dann bliebe immer noch die Angst, das in seinem Bauch befindliche Schweröl und Diesel könnte die wunderschönen Küsten dort unten verseuchen.

Und doch – irgendwie ist diese Havarie ein Menetekel. Die Gemeinsamkeiten drängen sich mir geradezu auf. Dieser blinde Glaube an die Überlegenheit der Technik, an die Unverwundbarkeit des Schiffes spielte damals wie heute eine entscheidende Rolle. Hier zeigt sich unbarmherzig, was wir kollektiv auch durch den Verlust der »Titanic« nicht gelernt haben und wohl auch durch dieses spektakuläre Unglück nicht lernen werden – so etwas wie das Anerkennen unseres menschlichen Maßes gegenüber der Größe des Lebens, der Natur.

Selbstverständlich werden neue Vorschriften erlassen werden; die aktuelle Generation von Großschiffen wird bestimmt sicherer sein als es die »Costa« war. Doch absolute Sicherheit und Kontrolle gibt es nicht. Alleine das anerkennen zu können wäre schon ein hehres Ziel.

Ach übrigens – »Concordia« heißt Eintracht, Frieden. Welche Eintracht, welcher Frieden ist hier untergegangen?

 

Nachtrag 17.9.13: Nun ist die »Costa« erfolgreich wieder aufgerichtet worden. Die Steuerbordseite sieht übel aus; das Schiff hatte sich hier anscheinend regelrecht um die Felsen gewickelt, auf die es kippte. Doch etwas lässt mich nicht mehr los: Sechshundert Millionen Euro hat diese Aktion bislang verschlungen, ein gigantischer Betrag. Wofür das alles? Wirklich aus Umweltschutzbedenken? Vermutlich hätte es einen kleinen Bruchteil dieser Summe gekostet, das Gros der im Rumpf vorhandenen Schadstoffe abzupumpen oder sonst wie zu beseitigen. Um den Bewohnern und Besuchern von Giglio wieder freie Sicht aufs Meer zu verschaffen? Um die letzten beiden nach wie vor vermissten Opfer der Katastrophe zu bergen, die man noch im Wrack vermutet? Wer schindet hier Eindruck, wessen Gesicht wird hier gewahrt?

Was lässt sich mit einem solchen Betrag alles tun! Damit könnte man mühelos so manches kleinere Land sanieren. Es tut mir furchtbar leid, doch ich verstehe es nicht. Ein astronomische Summe, die noch anwachsen dürfte, denn das war ja erst der Anfang, der allererste Schritt. Alle reden von der Euro-Krise, feilschen dabei erbittert um Beträge, die oft nur einen Bruchteil davon ausmachen. Und das alles, um einen riesigen Klumpen Schrott irgendwann im kommenden Frühjahr in eine Werft schleppen und zerlegen zu können? Ich fasse es nicht. Aber wahrscheinlich bin ich einfach verrückt, weil sich mir die Logik dieses Handelns nicht erschließt.

Nachtrag 23.7.14: Die »Costa« schwimmt wieder und soll ab heute Mittag in Richtung Genua abgeschleppt werden, wo sie dann verschrottet wird. Die Kosten für die ganze Aktion werden inzwischen auf 1,5 Milliarden Euro geschätzt, wie sich hier nachlesen lässt. Da fällt mir nichts mehr zu ein. Wirklich nicht.

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