Mittwoch, 6. April 2022

Der Tod des Meisters

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Der Tod des Meisters

Der Tod des Meisters ist beschlossene Sache. Man hat Jahrzehnte daran gearbeitet, und jetzt ist es so weit: Auch die Massen fordern seinen Tod. Ist er doch, verkörpert er doch all das, von dem die überwältigende Mehrheit weg will, was sie endlich hinter sich lassen will. All das, was für sie mit Schwäche und Unvermögen verbunden wird: Sie fordern den Sieg des Könnens über das Sein, das einfache menschliche Sein.

»Der Verstand ist ein wunderbarer Diener, doch ein furchtbarer Herr«, heißt es – aus meiner Sicht ganz zu Recht. Und wem dient er, oder wem sollte er wunderbarer Diener sein? Nun, der »rechtshirnischen« Sicht auf das Leben – verbunden, staunend, direkt erkennend und erfahrend, doch all das jenseits von Sprache: also dem Meister, dem Sein.

Dem profanen, Wunder-vollen, Geheimnis-vollen Sein, in unserem Falle dem Mensch-Sein ein Diener sein. Ja, dem ganz einfachen Sein, mit dem wir geboren wurden. Das uns »einfach so in die Wiege gelegt« wurde. Wofür wir nichts zu tun brauchen außer es als Geschenk anzunehmen: einfach Ja dazu zu sagen und es wertzuschätzen.

Stattdessen gibt es unzählige Bedingungen. Die sind von Kultur zu Kultur verschieden, doch das Entscheidende ist überall: Es ist an Bedingungen geknüpft. Erst wenn die (mehr oder weniger) erfüllt sind, zählst du als Mitglied der menschlichen Gemeinschaft. Und seit ein paar Jahrzehnten entwickelt sich darüber hinaus eine Art Weltkultur, die nach und nach alles Eigene verschluckt und in sich aufnimmt: »Das schönste an Wladiwostok ist der McDonald’s. Oder Starbucks.« Nun, seit Kurzem nicht mehr. Die Russen werden sich was Vergleichbares einfallen lassen.

Die Weltkultur hat die Ideologie, dass es keine Ideologie gibt – außer dass eben dieser Glauben an den Fortschritt Alle und Alles im Griff hat: Wo man auch hinkommt, starren vor Allem die Jüngeren fast pausenlos auf ihre Smartphones, während Gedudel in ihre verstopften Ohren spült. Diese Dinger sind zur Fernbedienung des Lebensfilms des Einzelnen geworden und liefern dazu auch noch den Soundtrack. Und da man das Leben damit sprichwörtlich im Griff hat, ist indirekt auch der Tod abgeschafft.

Alles, was mit unserer profanen Existenz zu tun hat ist heute geradezu obszön geworden. Und jetzt sei da ein Virus, heißt es, das all das bedrohen könnte, uns also wieder in unser profanes, körperliches, endliches Sein »zurückbeamen« könnte … Das den Tod wieder als Möglichkeit in unser Instagram-Leben hineinschmuggelt – als etwas, das wir nicht einfach mit einem Wisch auf dem Bildschirm als unerwünscht, als uncool abwählen können.

Als es den Tod noch gab, irgendwo »da hinten«, hätte sich die Mehrheit zumindest mal am Kopf gekratzt, vielleicht sogar berechtigte Fragen gestellt. Geht aber heute gar nicht mehr. Wer fragt zeigt, dass er etwas nicht weiß, nicht kann. Nicht souverän über den Dingen steht. Nicht überlegen ist, sondern menschlich. Und damit auch nicht »dazugehört«. So was ist heute ein K.O.-Kriterium, der soziale Tod – der schon längst vorher eingetreten ist. Hat nur niemand gemerkt. Denn die »Plastikversion« des Sozialen ist längst anerkannter Standard geworden.

Also: Leute, die es noch ein Bisschen mit diesem Schnarchtypen – dem Meister – haben (der ja qua bis vor Kurzem üblicher Definition wohl älter ist), sind raus. Schon allein jemandem Bedeutung zuzumessen, der einer Altersstufe angehört, in der man so was völlig Überbewertetes wie »Lebenserfahrung« haben könnte ist völlig daneben: Heute ermahnen die Jüngeren die Älteren zum Gehorsam, nicht umgekehrt.

Kurzum: Der Meister ist nicht nur ausgebootet und liegt in irgendeinem Verlies – nein, die Massen fordern inzwischen offen und lautstark seinen Tod. Unoptimierte Menschen, die sich zudem noch dem Spiel der Konkurrenz von Allen und Jedem mit Allen entziehen haben den Tod verdient. Sie stehen diametral im Gegensatz zum Zeitgeist und gehören damit zu Alldem, dessen man sich nun endgültig entledigen will – ein für alle Mal: Der Mensch ist jetzt Gott. Das wissen die grauen Eminenzen bei Blackrock und Vanguard. Und das wissen auch die weitaus meisten weltweit.

Es spielt keine Rolle mehr, ob der Meister schon tot ist, wenn man ihn unter dem Jubel der Massen nach draußen zerrt. Nun, es wäre natürlich amüsant zu sehen, wie er vielleicht noch ein wenig zuckt, wenn ihm dann vor laufenden Kameras die Hiebe der knackigen Worte von Klaus Schwab oder Bill Gates den Rest geben. Sollte er noch ein letztes Stöhnen oder gar leise letzte Worte hervorbringen, wird das im tosenden Applaus der Massen untergehen.

In ein paar Gegenden der Welt wird der Meister noch geduldet. In der Regel nur geduldet, nicht verehrt. Immerhin darf er da noch am Leben bleiben. Noch. Doch da es nur selten auch Wertschätzung für ihn gibt, wird man sich nur in Ausnahmefällen für ihn einsetzen, gar für ihn kämpfen. Ich selbst möchte die Zeit, die mir noch bleibt mit Menschen verbringen, die notfalls auch bereit sind, für den Meister zu kämpfen. Sein endgültiger Tod wird nämlich auch den Tod der menschlichen Art bedeuten.

Nachtrag 10.5.22: Haben eben einen gut geschriebenen Artikel aus berufenerem Munde gelesen. Ja, es geht hier um den Mord an unserer Seele, am »Human Spirit«, am Sein als Solchem – wie immer man das umschreiben mag. Umschreiben, nicht beschreiben. Das geht leider und zum Glück nicht. Der Verstand will es zwar vereinnahmen, sich aneignen, für seine Ziele instrumentalisieren. Doch je mehr er es versucht, umso mehr entzieht es sich. Aber er kann es zerstören, vernichten. Tabula rasa. Gibt zwar keine Kriegsbeute, aber die völlige Zerstörung, die Annullierung des Todfeindes (so wird das von ihm gesehen) ist ja auch was. Sein Erfolg wird das Ende der menschlichen Art (und wohl fast aller anderen Arten auf diesem Planeten) bedeuten. Ein Todesstern, vom furchtbaren Herrn geschaffen.

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