Montag, 8. Juni 2020

Ein Blick in die Zukunft

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Ein Blick in die Zukunft

Ich hatte vor neun Jahren ja schon mal eine kleine Glosse geschrieben, mit einem Blick in die Zukunft. Hier eine weitere, die große Chancen hat, Alltagsrealität zu werden, schon in recht naher Zukunft. Womöglich wird sogar die von 2011 sich mit dieser zu einem ganz Neuen vereinigen. Auch dafür stehen die Chancen gut.

Ich habe die Wohnungstür gerade hinter mir zugezogen und abgeschlossen, laufe jetzt zügig die Treppe nach unten. In meinem Augenwinkel huscht gerade die Fußmatte meines süßen jungen Nachbarn im ersten Stock vorbei, mit Entchen drauf. Piiiep-Bsss! Piiiep-Bsss! Piiiep-Bsss! Piep-piep-piep! Piiiep-Bsss! Piiiep-Bsss! Piiiep-Bsss! Piep-piep-piep! Piiiep-Bsss! Piiiep-Bsss! Piiiep-Bsss! Irritiert bleibe ich auf dem nächsten Treppenabsatz stehen, hole mein weiter durchdringend piependes und summendes Handy aus der Jackentasche und schaue auf den Bildschirm, der mich gleich darauf im Zwielicht des Treppenlichts fahl anstrahlt. Mit dem Aufleuchten verstummt das Piepen und Summen. Knallrot auf weißem Hintergrund sehe ich eine Meldung.

Es piept noch einmal kurz. Ich lese:

»Achtung! Dringend!

Du bist einer Person begegnet, die einer Person begegnete, die einer Person begegnete, die vermutlich mit Corvid 20 infiziert ist. Da letztgenannte dieser Person näher als zwei Meter gekommen ist, müssen wir für alle Beteiligten, also auch für dich, eine vorsorgliche Quarantäne aussprechen. Bitte begib dich unverzüglich zurück in deine Wohnung und warte dort auf weitere Anweisungen. Dies ist eine Maßnahme zu deinem eigenen Schutz und dem deiner MitbürgerInnen.

Von dem Ort aus, wo du jetzt gerade bist, hast du fünf Minuten Zeit, in deine Wohnung zurückzukehren. Sollten wir feststellen, dass du dich nicht binnen dieser Frist dorthin begeben hast, wird eine Einsatzpauschale für unsere Taskforce fällig, unabhängig davon, ob diese dich zu deiner Wohnung zurückbringen musste. Diese beträgt 500 Euro und ist innerhalb von vier Wochen nach dem Vorfall zu entrichten. Zusätzlich ergeht im Falle eines Verstoßes gegen diese Anordnung ein Bußgeldbescheid über 500 Euro sowie ein Punkteabzug von zehn Punkten von deinem Sozialpunktekonto gegen dich.

Wir dürfen dich an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass ab einem Punktestand von unter 50 Punkten zum Schutz deiner MitbürgerInnen weitreichende Beschränkungen für dich im sozialen und allgemeinen gesellschaftlichen Umgang unumgänglich sind. Dein derzeitiger Punktestand:

62 Punkte

Es grüßt dich dein Soziomedizinischer Dienst Berlin gGmbH, eine gemeinnützige Einrichtung im Auftrag der Deutschen Bundesregierung. Der SMD Berlin ist ein Partnerunternehmen des Landes Berlin mit der Amazon- und der GlaxoSmithKline-Gruppe.« 

Ich bin erstarrt, wie vom Blitz getroffen. Meine Verabredung, auf die ich mich so gefreut habe, kann ich jetzt in den Wind schießen. Nicht nur für jetzt, sondern voraussichtlich auch für die nächste Zeit. Mein Kopf ist leer. Stille Panik und Wut steigen in mir hoch.

Piep! »Du hast jetzt noch vier Minuten, in deine Wohnung zurückzukehren!«, strahlt es mich vom Bildschirm an. Darunter eine Timeranzeige, die abwärts zählt. Etwas packt mich. Ich renne die Treppen hoch und schließe fast panisch die Wohnungstüre auf, beinahe so, als ob eine Meute wildgewordener Hunde hinter mir her wäre. Ich stürze nach drinnen und drücke schnell die Tür hinter mir ins Schloss.

Piep! »Wir sehen, dass du jetzt in Sicherheit bist. Schön, dass du so verantwortungsvoll für dich und deine MitbürgerInnen sorgst! Bitte warte auf weitere Anweisungen. Wir wünschen dir einen schönen Abend.«

Ich werfe mich aufs Sofa und heule hemmungslos.

Nachtrag 22.8.21 – Die Realität beginnt immer schneller meine Phantasien einzuholen. Nun, das ist auch recht einfach, ist meine Phantasie doch eher schwach ausgeprägt. Australien und Neuseeland sind ja inzwischen weiter als wir. Im letzterem Land wurde vor ein paar Tagen wegen eines einzigen positiven Tests – ich muss es wiederholen: wegen eines einzigen positiven Tests – ein landesweiter Lockdown verhängt. In Australien sieht es kaum »intelligenter« aus. Dazu gehört auch, dass derzeit ein Mann per öffentlicher Fahndung gesucht wird, der positiv getestet wurde, sich aber weigerte, in Quarantäne zu gehen. Entscheiden dann Apps (und die dahinter stehenden staatlichen Stellen wie in meiner kleinen Geschichte oben) über unseren »Infektionsstatus«, braucht es noch nicht mal einen formell positiven Test …

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