Dienstag, 9. Juni 2020
Schöne neue Welt
Schöne neue Welt
Weil’s so schön war und eine Idee selten allein kommt, hier noch ein weiterer Blick in die Zukunft. Die Weichen werden inzwischen auch in diese Richtung gestellt, doch die Leute gehen nur für ein paar (zugegebenermaßen bedauerliche) durch rassistische Polizisten in Übersee Getötete auf die Straße.
Wir verkaufen inzwischen ja sogar unsere Körper, ohne mit der Wimper zu zucken. Was ist es anderes, was wir gerade tun? Die Impfpflicht ist längst da, wenn es hier unter Punkt 53 heißt: »Die Pandemie endet, wenn ein Impfstoff für die Bevölkerung zur Verfügung steht.« Doch niemand fragt nach oder protestiert gar. Hurra, wir werden alle zu Patienten! Du fühlst dich völlig gesund? Das ist irrelevant. Alleine deine physische Existenz stellt eine latente Bedrohung der Sicherheit Aller dar: Du könntest mit irgendwas infiziert sein, ohne dass du es weißt! Und wir werden testen, und wir werden etwas finden. Immer! Deshalb müssen wir jederzeit wissen, wo du bist, was du tust und wem du begegnest. Sei dir gewiss: Es gibt immer irgendwas Gefährliches! Mach dir das klar: Immer! Und deshalb musst du deinen Immunitätsstatus in kurzen Abständen »updaten« – per Immunitätscheck, oder eben noch besser: per Impfung. Mit der Impfung gehst du auf Nummer sicher – bis zur nächsten Impfung. Denn sonst ziehen wir dich aus dem Verkehr. Na ja, natürlich auch dann, wenn wir nach Auswertung deiner Daten zu der Überzeugung kommen, du würdest in irgendeiner anderen Weise eine Gefahr für deine Mitmenschen sowie die öffentliche Ordnung darstellen. Und das ist latent immer so – solange du lebst und atmest! Oh, du hast gesundheitliche Probleme, obwohl es dir vor den Impfungen doch gut ging? Das ist dein Problem. Alles, was geschieht ist völlig alternativlos. Außer deiner Existenz.
Also – phantasieren wir doch noch ein Bisschen, einen konsequenten Schritt weiter: Da privat-öffentliche Partnerschaften sehr im Trend liegen, hat sich die städtische Hausverwaltung mit einem neuen Anbieter zusammengetan. Verlasse ich meine Wohnung, stellen das Sensoren im Treppenhaus sofort fest. Für jede Benutzung der Treppe wird mir eine kleine Treppenhaus-Gebühr berechnet und mit der monatlichen Mietzahlung abgebucht.
Gehe ich aus dem Haus, lässt sich die Stadt auch hier nicht lumpen: Per freiwilliger App wird mir nun, GPS-gestützt, eine Straßenbenutzungsgebühr berechnet. Nur Autos sind steuerpflichtig? Haha, das war gestern. Heute muss jede/r eine solche Gebühr bezahlen, ab dem Moment des Verlassens des Hauses. War doch schon immer so, nicht wahr? Und niemand muss ja aus dem Haus gehen. Man kann sich heute alles liefern lassen! Zudem gibt es die Möglichkeit, verschiedene Pauschalverträge abzuschließen, Flatrates gewissermaßen, oder halt auch pro Weg zu bezahlen. Beides wird schnell und effizient vom Zentralbankkonto abgebucht.
Natürlich kosten die Parks und Grünanlagen der Kommunen noch mal extra. Dafür sind sie perfekt gepflegt und unterhalten. So gut, dass an manchen Stellen die Versuchung aufkommt zu prüfen, ob die Pflanzen wirklich echt sind. Hin und wieder gibt es aber »freie« Tage, an denen die Benutzung kostenlos ist – am Nationalfeiertag oder zu Weihnachten zum Beispiel. Doch ansonsten muss bezahlt werden. Niemand muss ja in Parks und Grünanlagen gehen. Im Rahmen von ABM-Maßnahmen schwärmen deshalb WächterInnen aus, die sich zeigen lassen, dass die (selbstverständlich freiwilligen) Apps auf den Handys der Leute auch so funktionieren wie sie sollen. Falls nicht, dürfen sie Verwarnungsgelder verhängen und bei schweren Verstößen auch Anzeige erstatten. Und für ältere Leute ohne Smartphone gibt’s dann diese praktischen Tracking-Armbänder, die selbstverständlich auch diese Abrechnung erledigen können.
Wo wir doch gerade draußen sind: Die Maskenpflicht ist inzwischen ausgeweitet worden. Eine bahnbrechende neue Untersuchung hat festgestellt, dass Atemaerosole sich auch draußen eine lange Zeit halten und wie Pollen durch die Luft schweben können, ja sogar weite Entfernungen zurücklegen! Das bedeutet: Gefahr für Alle! Wann immer man also seine Wohnung verlässt, ist eine Maske obligatorisch, die zudem dem FFP 3-Standard genügen muss. Zuwiderhandlungen ziehen hohe Bußgelder nach sich, im Wiederholungsfalle auch Isolierhaft wegen Gefährdung der Allgemeinheit. Und in ganz schweren Fällen … Mehr dazu später. Nun, diese neuen, nun für alle gleichen Masken messen auch den Luftdurchsatz sowie die Hauttemperatur an verschiedenen Stellen und geben die Messwerte über die Tracking-Apps weiter. Damit stehen mindestens zwei weitere wichtige Parameter zur Verfügung: Einmal ein Hinweis auf eventuelle Anstrengung oder Erregung des Trägers oder der Trägerin, aber auch die Menge der verbrauchten Luft. Ein Gesetz zur Besteuerung des Luftverbrauches ist in Vorbereitung. Proteste gab es bislang keine. Selbstverständlich müssen diese Masken regelmäßig durch neue ersetzt werden. Dazu übermitteln sie auch ihre Gebrauchsdauer an die zentralen Server, nach deren Ablauf der Träger oder die Trägerin eine Aufforderung zum Austausch erhält. Diese Zeiten sind aber im Interesse der Gesundheit großzügig bemessen, und auch diese Kosten übernimmt selbstverständlich der Bürger. Seit der Ankündigung der Gesetzesnovelle sind die Bestellungen für Heimtrainer regelrecht explodiert.
Es stellt sich inzwischen auch die Frage, wieso eigentlich Sonnenlicht in der Wohnung umsonst sein sollte. Findige Tüftler haben bereits Folien entwickelt, die von außen auf die Fensterscheiben geklebt werden und eine Regelung der Helligkeit drinnen erlauben. Ein weiterer Markt mit Zukunft! Die weitaus meisten, die sie schon haben sind begeistert. So lassen sich im Sommer per App die Fenster abdunkeln bis zur fast völligen Dunkelheit, selbst bei vollem Sonnenlicht. Doch natürlich ist das nicht der einzige Nutzen. Schließlich wollen die Hausverwaltungen den finanziellen Aufwand für diese Folien wieder hereinholen. Deren Nutzung ist selbstverständlich freiwillig. Sie werden aber so oder so installiert. Wer Sonne haben will, muss halt stundenweise dafür bezahlen. Man muss natürlich kein Tageslicht in der Wohnung haben. Wie gesagt: ist freiwillig. Es gibt ja die langlebigen und günstig zu betreibenden LED-Birnen.
Ach ja – auch die Todesstrafe wurde kürzlich wieder eingeführt. Nein, nicht für Mord. Die armen Schweine, die so was getan haben, hatten sicher eine böse Kindheit. Es bleibt für sie beim Lebenslänglich und Entlassung bei guter Führung. Wir sind ja ein demokratisches und freies Land! Doch wer heute ernsthaft gegen die Maßnahmen verstößt, die zur Eindämmung der Influenza-Pandemiewellen unumgänglich sind oder gar in irgendeiner Form zum Widerstand gegen sie aufruft, ist ein verantwortungsloses Subjekt. Er oder sie verstößt nicht nur gegen die entsprechenden Auflagen und Regeln, sondern setzt potentiell zehntausende MitbürgerInnen einer ungeheuren Gefahr aus. Das ist versuchter Genozid! Hatten wir hier ja schon mal, nicht wahr? Und das muss daher entsprechend hart und entschlossen bestraft werden! Für solchen verantwortungslosen Abschaum ist nur die Todesstrafe angemessen. Alles Andere wäre eine Aufforderung zum Massenmord. Wir sind und bleiben eben eine verantwortungsvolle und füreinander sorgende, freie Gesellschaft!
Apropos »freie Gesellschaft«. Auch heute, Ende November (29.11.20), sieht die überwältigende Mehrheit kein Problem, für das es sich auf die Straße zu gehen lohnt. Alles paletti – na ja, bis auf dass durch den Lockdown seit dem 2.11. alle öffentlichen Aktivitäten, die auch nur entfernt etwas mit Freizeit zu tun haben (Ausnahme: Friseure) verboten sind. Und es gibt eine Sperrstunde – von 23 Uhr bis 6 Uhr morgens ist alles außer Tankstellen geschlossen. Und selbst die dürfen in dieser Zeit nur Dinge verkaufen, die unmittelbar mit dem Autofahren zu tun haben. Und noch etwas zeichnet sich immer stärker ab – etwas, das auch schon vor Corona Fahrt aufgenommen hatte.
Bestimmte Diskussionen durften nicht mehr geführt werden, weil sie Minderheiten stören könnten. Das geht heute ja weiter. Dieser Teil des Zeitgeistes ist heute bei der Rechtfertigung der »Maßnahmen« äußerst hilfreich, liefert er ja zunächst Denk- und in der weiteren Folge auch Diskussionsverbote, die nicht hinterfragt werden dürfen. Früher war es so: Litt zum Beispiel jemand unter einer Angst vor Menschenansammlungen, so lag es an ihm oder ihr, damit umzugehen und für sich eine Lösung zu finden.
Heute ist die Logik eine Andere: Man muss die Schwachen schützen, deshalb haben alle nun auf diese Rücksicht zu nehmen. Will heißen: Wenn die PhobikerInnen kommen, muss nach dieser Sicht der Platz eben so leer sein, dass sie keine Angst mehr haben. Das ist der Maßstab, die ultima ratio. Und wenn ein Argument, ein Standpunkt heute nicht passt, dann wird der eben nicht mehr debattiert, sondern darf nicht geäußert werden. Die Dinge sind damit auf den Kopf gestellt worden. Mit dieser Vorgehensweise wird ja auch das begründet, was uns allen gerade angetan wird. Die Schwächsten müssen geschützt werden, deshalb wird die gesamte Gesellschaft dicht gemacht.
Auch die Gerichte haben einen Paradigmenwechsel vollzogen: Früher musste sich der Staat gegenüber den Bürgern rechtfertigen. Heute müssen sich die Bürger gegenüber dem Staat rechtfertigen. Ergo: Wenn Bürgern staatliche Maßnahmen nicht passen, muss nicht mehr der Staat belegen, dass diese grundgesetzkonform seien, sondern der Bürger muss dem Staat beweisen, dass sie unrechtmäßig sind.
Und selbst wenn es gelingt, gute Experten und sicher belegbare Argumente zu finden, beruft sich der Staat meist auf eine Generallinie, einen staatlich akzeptieren Konsens. Der mag noch so unlogisch und wissenschaftsfern sein – es ist eben der Konsens, und damit basta. Zudem ist die Unschuldsvermutung, bis ein Vergehen oder Verbrechen bewiesen werden kann, nicht mehr existent. Ein wichtiger Rechtsgrundsatz unserer Demokratie ist damit ein Ding der Vergangenheit. So werden zum Beispiel immer öfter Ärzte regelrecht von der Polizei und Staatsanwaltschaften heimgesucht, da man ihnen von vornherein ohne Beweis unterstellt, Maskenbefreiungsatteste seien grundsätzlich Gefälligkeitsgutachten.
Und selbst wenn es so wäre – da hätte noch vor einem Dreivierteljahr kein Hahn danach gekräht. Wie damit umgegangen wird, ist aus meiner Sicht ein Skandal, und zwar ein gigantischer. Es ist nicht nur eine Bankrotterklärung des demokratischen Rechtsstaates, sondern auch des humanistischen Medizinverständnisses. Was mich traurig und wütend macht, ist zu sehen, dass selbst die betroffenen Ärzte selbst sich inzwischen auf einer Ebene rechtfertigen, die noch im März nicht einmal gedanklich nachvollziehbar gewesen wäre. Wer da immer noch keine Gefahr für die Demokratie sehen kann, hat offenbar eine ganz eigene Vorstellung davon, was denn Demokratie ist. Meine ist eine andere.