Samstag, 16. Januar 2016

Wir Giganten

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Wir Giganten

Zugegeben, was in der Silvesternacht in Köln (und nicht nur dort) geschehen ist, ist mehr als unerfreulich. Auch ich als Mann habe oft ein mulmiges Gefühl, wenn ich einer Gruppe junger Türken (oder Araber) begegne, vor Allem, wenn sie aufgekratzt oder gar betrunken sind. Bislang gingen solche Begegnungen gut aus, wohl auch, weil ich verbal auf sie zuging, anstatt mich wie ein Opfer zu verhalten. Natürlich war auch Glück dabei.

Nun, durch die aktuelle Flüchtlingsfrage liegen bei vielen die Nerven blank. Das spielt sicher auch eine Rolle. Progromstimmung liegt in der Luft – seit Längerem vergeht kaum ein Tag ohne eine Meldung über einen Übergriff auf »Ausländer«. Mal ein Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim, mal werden Menschen »fremdländischen« Aussehens verprügelt.

Mir kam beim Lesen all der Nachrichten und Kommentare zum Thema »Köln in der Silvesternacht« ein Gedanke, ein frevelhafter Gedanke: Inwieweit steht das Geschehene im Verhältnis zu den Reaktionen? Sind diese Reaktionen, die im Anbetracht der zugegebenermaßen unangenehmen Ereignisse nun Deutschland erschüttern, ein angemessenes Verhalten?

Wie viele Tote gab es, wie viele Schwerverletzte? In wie vielen Stadtteilen brach die öffentliche Ordnung zusammen? Welche Schäden entstanden, wie viele Geschäfte und Wohnungen wurden geplündert? Wenn ich die Nachrichten lese, dann drängen sich mir solche Bilder geradezu auf, so heftig empfinde ich die Reaktionen.

Doch es gab nichts dergleichen. Eine große Gruppe (vermutlich stark alkoholsierter) Männer, die meisten wohl aus Nordafrika, konnten auch von der anwesenden Polizei nicht daran gehindert werden, vor allem Frauen zu bedrängen, zu begrapschen und zu bestehlen. Dass die Polizei es nicht schaffte, die delirierenden Männer fortzuschicken oder notfalls auch zu verhaften sehe ich als das zentrale Problem an.

Ich versetzte mich im Geiste mal zwanzig Jahre zurück. Auch da wären solche Ereignisse möglich gewesen. Wie hätte wohl, gesetzt den Fall, das Gleiche wäre passiert, die Reaktion ausgesehen? Sicher hätte es Folgen gehabt: Eine Untersuchungskommission wäre eingeschaltet worden, um zu klären, wieso die Beamten nicht Herr der Lage waren. Womöglich hätte der Landtag dazu eine Sondersitzung einberufen. Eventuell hätte es Rücktritte gegeben.

Doch eine Bedrohung zu sehen in der Größe und Form, die ich jetzt erlebe? Was soll denn erst passieren, wenn es zu einem erfolgreichen Anschlag von Islamisten in Deutschland kommt? Bricht dann der Bürgerkrieg aus, gibt es Schießereien in den Straßen zwischen türkisch-arabischen Männern und »guten Deutschen«? Schlägereien allenthalben zwischen empörten Deutschen und allen, die »fremdländisch« aussehen?

Mein Eindruck ist, dass die Schwelle dessen, was als »Zumutung« empfunden wird, sich in den vergangenen 15 bis 20 Jahren deutlich gesenkt hat. Das betrifft alle Bereiche des Lebens, nicht nur das, was auf den Straßen passiert. »Weil Sie es sich wert sind« – dieser Werbeslogan bringt stellvertretend für viele andere auf den Punkt, wie sich unmerklich die Anspruchshaltung der meisten verschoben hat zu immer mehr Größe und Wichtigkeit.

Wir sind Giganten geworden, Könige und Königinnen, die entsprechenden Respekt verdienen und einfordern. Wehe, er kommt nicht. Dann ist aber was los. Schon ein geringfügiges Gefühl von Unsicherheit, von Kontrollverminderung, egal in welchem Bereich, ist eine Zumutung, ist zu viel. Da muss gefälligst was geschehen! Und zwar gründlich! Weil Sie es sich wert sind.

Dass das Leben per se mit dem Verlust jeglicher Kontrolle enden wird, spielt keine Rolle mehr. Es ist völlig aus dem Wahrnehmungsbereich verschwunden.

Ein wenig mehr Gelassenheit und mehr Akzeptieren dessen was ist würde auch Giganten gut zu Gesicht stehen. Dumm nur, wenn solche Sichtweise als die Nadel empfunden wird, die sich dem Luftballon nähert.

 

Nachtrag 26.1.16: Vor Kurzem machte die Meldung Schlagzeilen, in Berlin-Marzahn sei ein 13-jähriges Mädchen von Migranten entführt und vergewaltigt worden. Da das Mädchen zur russischen Community in Berlin gehört, kamen russische Fernsehteams nach Berlin und berichteten später in Russland darüber. Die Berliner Polizei, die mit dem Fall befasst ist, dementierte jedoch entschieden, dass eine Entführung samt Vergewaltigung stattgefunden habe. Man sprach von Hinweisen auf einvernehmlichem Sex, die sich nach der Vernehmung des Mädchens ergeben hätten. Jetzt hat sich anscheinend auch die russische Regierung eingeschaltet und wirft deutschen Behörden »Vertuschung« vor. Welch ein Schmierentheater! Natürlich kann ich nicht ausschließen, dass die Berliner Polizei tatsächlich etwas vertuscht. Ich habe keine Möglichkeit, deren Stellungnahme zu überprüfen. Es ist einzig mein Glaube, dass ich den Aussagen deutscher Ordnungsbehörden zumindest in diesem Fall mehr trauen kann als den Behauptungen russischer Medien. Es wird immer schriller, immer hysterischer. Wo soll das noch hinführen?

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