Donnerstag, 17. März 2011

Nacktwanderung auf Ibiza

Kommentieren

Nacktwanderung auf Ibiza

Nachsaison auf Ibiza, Anfang Oktober. Es ist warm, aber nicht drückend heiß. Gegen 16 Uhr steige ich von dem Boot, das mich im Hafen von Eivissa aufgenommen hatte, auf den Landesteg am »Platja d’en Bossa«, einem der bekanntesten Badestrände der Insel. Ich werfe einen Blick auf die Tafel mit den Abfahrtszeiten, und mir wird auf der Stelle klar, dass das letzte Boot zurück lange weg sein würde, bevor ich wieder hier sein könnte. Denn für das, was ich vorhabe, würde ich mehrere Stunden brauchen. Außerdem würde es dann dunkel sein. Was das für mein Vorhaben bedeutete, sollte mir erst später richtig klar werden. Ich finde mich also damit ab, auf andere Weise wieder nach Eivissa bzw. Ibiza-Stadt zurückkommen zu müssen.

Ich will eine kilometerlange Hügelkette aus schroffen Felsen überqueren, die wie ein Dorn weit ins Meer ragt. Sie läuft in einer langen und auf der dem Land zugewandten Seite bewaldeten flachen Landzunge ins Meer aus, und genau diese ist mein Ziel. Dort befindet sich der bekannteste schwule Strand Ibizas, gleichzeitig auch der offizielle Nacktbadestrand. Die Landzunge kann ich von hier aus gut auf der anderen Seite der großen Bucht sehen. Alles sieht so nah aus.

Vom Landesteg gehe ich zum Wasser hinüber, ziehe ich mich bis auf meinen Stringtanga aus und laufe am Strand entlang, genieße die Sonne, das um meine Füße leckende Meer und den warmen Wind. Schaue und werde angeschaut.

Unterwegs kaufe ich mir noch eine große Flasche Mineralwasser, und ich bin so durstig, dass ich sie auf der Stelle austrinke. Na ja, außerdem trägt sich das Wasser im Bauch angenehmer als in meinem Stoffbeutel.

Es dauert viel länger als ich dachte, bis ich den Fuß der Hügelkette erreiche. Der Strand ist hier zu Ende. Dort drüben stehen noch ein paar Häuser, dann wird es einsam. Ich folge einem Trampelpfad bergauf ins steinige Gelände, in diese karge Landschaft mit viel Gebüsch und niedrigen Fichten und Pinien. Links das Meer, das sich an den Felsen weiter unten im Wasser bricht. Sein Tosen klingt mal lauter, mal gedämpft zu mir herauf. Es geht hügelauf und hügelab. Ich habe nichts an als meinen Tanga und einfache Ledersandalen. Der Wind so warm, die Sonne schmeichelt meiner Haut, und diese Mischung aus Salzluft und Tannenharz in meiner Nase …

Wie wäre es, wenn ich … nackt durch diese Landschaft laufen würde? Der Gedanke erregt mich beinahe körperlich. Ich bleibe stehen, ziehe mein Höschen ‘runter, das wohlige Kribbeln verstärkt sich – doch etwas lässt mich zögern. So laufe ich erst mal weiter.

Einige Minuten später höre ich ein Schnaufen, das mir von unten entgegenkommt. Kurz darauf taucht ein älterer Mann in Holzfällerhemd, kurzen Lederhosen und mit schweren Wanderstiefeln um ein Gebüsch herum auf, der in mir sofort die Assoziation »schwäbischer Studienrat« auslöst. Schon bald höre ich sein Schnaufen nicht mehr. Dann, mit klopfendem Herzen, wage ich es. Mein Gefühl sagt mir, dass es nun okay sei – was sich dann auch bestätigen sollte.

Eine Offenbarung, für die mir die Worte fehlen. Nach ein paar Minuten hat sich meine Aufregung und Unsicherheit so gut wie völlig gelegt, und ich bewege mich ganz selbstverständlich nur mit meinen »Jesuslatschen« bekleidet durch Geröll und Gebüsch.

In mir wächst eine Ahnung, dann eine Gewissheit, was wir verloren haben, als wir anfingen, nur noch bekleidet herumzulaufen. Ich werde Teil meiner Umgebung, und die Umgebung wird Teil von mir. Den Wind am ganzen Körper spüren. Die Wärme des Bodens, das Streicheln oder Kratzen der Büsche. Mein Atem …

Die Sonne sinkt immer tiefer, und mir wird mit einem Mal bewusst, dass ich mich in großer Gefahr befinde, würde ich es nicht schaffen, mit dem letzten Tageslicht den Strand hinter der Hügelkette zu erreichen: Der »Pfad« ist eigentlich keiner mehr. Ich laufe, kraxele nun dort entlang, wo ein Durchkommen ist; ich passiere Stellen, wo ein Absturz meinen sicheren Tod bedeutet hätte. Aus über fünfzehn Metern Höhe auf wasserumtoste Felsen zu fallen würde ich vermutlich nicht überleben. Einmal platzt mir der Gedanke in den Kopf: »Wenn Du jetzt abstürzt, wirst Du nackt dort unten liegen!« Und sofort: »Na und? Ist dann auch egal!« Doch das überwältigende Gefühl, mit mir und nackt in der Natur zu sein erfüllt mich so sehr, dass in mir danach wieder Stille ist.

Nach einer Zeit, die mir endlos erscheint, höre ich ein Stück über mir Autos, und kurz darauf stehe ich in der Abendsonne auf einem großen, glatten, warmen Felsen mit einem grandiosen Blick übers Meer und auf die direkt unter mir liegende Landzunge mit dem FKK-Strand. Dort unten in etwa 150 Meter Entfernung liegt eines der Strandrestaurants, und obwohl ich kaum Leute sehe, entscheide ich mich, für das kurze Stück bis ‘runter zum Strand mein Höschen wieder anzuziehen – um es dann unten am Wasser sofort wieder auszuziehen und mich ins Meer zu stürzen.

Das wunderbar kühle und klare Wasser schlägt über mir zusammen.

Angekommen.

 

Vorheriger Eintrag: Nächster Eintrag:
 

Dein Kommentar zu »Nacktwanderung auf Ibiza«

Dein Kommentar