Donnerstag, 14. Januar 2021

»Frankfurt findest du auch hier«

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»Frankfurt findest du auch hier«

Mir kam gerade eine Erinnerung. Auf dem Fahrrad, draußen. Ohne Maske. Lange ist es her, es gab noch Ostberlin, die »Hauptstadt der DDR« und Westberlin. Und die Mauer. Schießbefehl. Grenzkontrollen. Transit.

Ich hatte einen süßen, viel jüngeren Mann im Ostteil der Stadt kennengelernt, über einen gemeinsamen Freund aus Hamburg. Nun, die weitaus meisten Menschen dort fand ich auf eine Art faszinierend, die mir erst nach und nach klarer wurde, mit jedem Besuch im anderen Teil der Stadt, und je mehr Leute ich kennenlernte.

Warum? Waren sie denn alle so »besonders«? Genau das ist der Punkt: Im Gegensatz zur großen Mehrheit im Westteil der Stadt waren sie eben nicht »besonders«, sondern einfach weitgehend sie selbst. Das ist es, was ich damals faszinierend fand und was mir heute so fehlt. Es ist zu einer absoluten Ausnahme geworden, weil es etwas zu sein scheint, was heute »gar nicht (mehr) geht«.

Und es gibt da ein Detail, das diese Erinnerung angestoßen hat. Im Zimmer eben dieses süßen, ganz jungen Mannes hing ein Zettel an der Wand, den er geschenkt bekommen hatte. Ich weiß nicht mehr, was darauf mit der Hand skizziert war. Doch der Satz, der dabei stand ist in mir geblieben: »New York findest du auch hier.«

Eigentlich ein banaler Satz, der jedoch deshalb bei mir blieb, weil New York damals ein Ort war, an den so gut wie niemand aus der DDR jemals kommen würde. Ein Sehnsuchtsort, nur aus dem Westfernsehen bekannt. Unerreichbar, selbst wenn das Geld für ein Flugticket bereit gelegen hätte.

Dass nur ein paar Jahre später der Sehnsuchtsort für fast alle zugänglich sein würde, die das Geld für die Reise aufbringen könnten – wer konnte das damals ahnen? »Die Mauer steht noch tausend Jahre!«, tönte Erich Honnecker. Danach sah es zumindest nach außen hin aus. Doch – das ist ein eigenes Thema.

Nehmen wir aber das Stichwort mal auf: »Nach außen hin«. Denn meine Erinnerung und meine traurige Erkenntnis haben viel damit zu tun. Etwa zur gleichen Zeit, als ich diesem süßen Mann in Ostberlin begegnete, war ich auch mal wieder in meiner alten Heimat im Rhein-Main-Gebiet. Weder meine Frisur noch meine Art mich zu kleiden hatten sich verändert, seit ich vor mehr als einem halben Jahr weggezogen war.

Nun, zumindest gibt es keine Erinnerung daran. Sehr wohl aber eine, dass ich bereits damals darüber nachdachte. Denn da war etwas, das mich erstaunt und ratlos zurückließ: Ich ging in Frankfurt am Main die Zeil herunter, und die »Damen aus besserer Gesellschaft«, also die Leute, die in den besseren Vierteln der Stadt oder gar im Taunus residierten, erkennbar am entsprechenden Äußeren – die warfen mir Blicke zu, in der Art »Wenn Blicke töten könnten«.

Was war anders an mir? An meiner Frisur und meiner Kleidung konnte es nicht liegen. Es musste was sein in der Art, wie ich mich bewegte und gab, in der Art meiner Präsenz. Die, spürte ich, war wohl schon von dem magischen Ort, an dem ich jetzt lebte verändert worden.

Und jetzt? Ich falle wieder auf, ähnlich wie damals in Frankfurt. Meine Haare sind jetzt kurz und überwiegend grau – genau wie mein Bart, so ich unrasiert bin. Mein Gesicht ist viel faltiger geworden. Gut, ich kleide mich nach wie vor lässig, aber ohne auf Jugendlicher zu machen. Das fände ich albern. Und trotzdem ist da dieses Auffallen, wie mir scheint.

Es muss wie damals in erster Line was mit meiner Präsenz zu tun haben. Mit der Art, wie ich mich bewege und mich gebe. So wie vor knapp 35 Jahren in Frankfurt am Main. Denn in Berlin spürte ich dies damals nicht, weder im West- noch im Ostteil der Stadt. Doch heute ist es fast allgegenwärtig, egal, wo ich mich aufhalte.

»New York« war damals ein Sehnsuchtsort, vor Allem für die Menschen in der DDR. Und gleichzeitig verstehe ich diesen Satz auch anders, heute wie damals: »New York« ist auch innen, ist eine Art, die Welt zu sehen. Und wenn du die Welt so siehst, wirst du auch hier die Vielfalt, die Kreativität und die Lebendigkeit dieser großen Stadt sehen und finden.

Und genau deshalb war ich so gerne in Ostberlin: Das Leben im Außen war dort überwiegend grau und eintönig. Das Leben in den Menschen war dagegen unglaublich lebendig und bunt. Es wäre eigentlich zu platt zu sagen, im Westen sei es genau umgekehrt gewesen. Und doch trifft es einen Punkt. Ich muss hier mal so platt werden, um es zu verdeutlichen.

Und heute ist also »Frankfurt auch hier«. Und New York als Symbol, ja als utopischer Sehnsuchtsort ist verschwunden. Oder überall und nirgendwo. Ein Brei, eine Soße. Und ich bin immer noch das Haar darin.

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