Samstag, 19. Dezember 2020

»Sie dürfen hier nicht sein«

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»Sie dürfen hier nicht sein«

»Spaziergang«, las ich irgendwo in den Alternativen Medien. Also mal vorbeischauen. Die Rede ist vom Umkreis des Rosa-Luxemburg-Platzes, der Tag ist heute, der 19.12.20. Die Sonne scheint, trotzdem sind die Temperaturen der Jahreszeit entsprechend – immerhin ca. vier Grad plus. Also aufs Rad und die paar Minuten bis nach Mitte gefahren.

Dort ist viel Polizei. Doch was passiert hier? Ich schaue nach: So gut wie nichts. Vor der Volksbühne sind etwa dreißig bis vierzig schwarz gekleidete, schwarz maskierte junge Leute. Dazu hämmernde Techno-Musik über eine kleine PA. Und überall rundherum Polizei! Ich halte an und mache ein paar Fotos und kurze Videos. Dabei bin ich in weitem Umkreis alleine – denke ich. Die nächsten Leute sind gute zehn Meter entfernt.

Da spricht mich jemand von schräg hinten an. Ich stoppe meine Videoaufnahme und drehe mich um. Ein junger Polizist kommt auf mich zu, maskiert. Es weist mich darauf hin, dass dies ein öffentlicher Platz sei, auf dem Maskenpflicht bestehe. Das erscheint mir zwar schon alleine aufgrund der weiten Entfernungen zwischen allen Anwesenden absurd, doch mir ist klar, dass Logik dabei keine Rolle spielt. Er verkörpert des Recht. Das Neue Recht.

Nachdem er zufrieden ist, als ich mir meinen Schal vors Gesicht binde, klärt er mich nun darüber auf, dass ich mich hier nur eine kurze Zeit, maximal einige Minuten, aufhalten dürfe. Dann müsse ich als Teilnehmer zu der Demonstration gehen oder den Platz verlassen. Nun, die Demonstration ist eine der Antifa, und ich gehöre zu den Leuten, gegen die hier mit Bannern und Schildern protestiert wird: Zum Beispiel gegen Nazis bzw. Faschisten, Verschwörungsideologen und Antisemiten. »Gedankenhygiene gegen Rechts« lese ich zudem auf einem Schild. Und »Stoppt die Brandstifter!« auf einem anderen.

Alleine meine Anwesenheit dort ist also schon ein Verstoß gegen die Regeln der Polizei. Und das Aufgebot, das die Zahl aller Anwesenden übertrifft – aller Anwesenden, also inklusive Antifa, Passanten und den vereinzelten »Gegendemonstranten« wie mir, ist beeindruckend. Sie sind hier, um die Demo zu beschützen! Vor den Gefährdern – will heißen, den gewaltbereiten »Querdenkern«! Und ich bin offenbar einer von ihnen.

Einfach eines Ortes verwiesen zu werden, als unbewaffnete Einzelperson, nur weil man (also die Polizei) vermutet, dass ich gewalttätig sein könnteSein könnte … Ich gehe dann weg, steige aufs Rad und fahre noch eine Runde. Dabei sehe ich hier und dort Einzelne, die auch »Spaziergänger« sein könnten … Bei einigen erweist sich meine Vermutung als zutreffend, bei anderen als falsch: Sie gehören zur Antifa. Kurzum: Ein Polizeiaufgebot von bestimmt einer Hundertschaft, um dreißig bis vierzig Antifa-Leute vor Leuten wie mir zu schützen?

Ich verstehe die Welt nicht mehr. Bin gespannt, was morgen beim Schweigemarsch passieren wird. Ob da wirklich die Gewalt von den Schweigenden ausgehen wird. Nach meiner Erfahrung vom letzten Mal ist das zwar sehr, sehr unwahrscheinlich. Doch das ist wie alles, ganz besonders heute, Interpretationssache. Für viele ist ja inzwischen bereits Fragen zu stellen eine Form von Gewalt. Das meine ich ausnahmsweise mal wirklich ernst.

Ach ja, das hätte ich beinahe vergessen: Oben an der Volksbühne prangt inzwischen das Logo des »Great Reset«. Das Volk will ihn, das Volk bekommt ihn, auch wenn er für viele wahrscheinlich den Untergang bedeuten wird. Doch ich bin in einem Alter, in dem ich da schon nicht mehr mitzähle.

Nachtrag 20.12.20: Der Schweigemarsch, den ich oben erwähnt habe verlief ruhig und ohne jegliche Zwischenfälle. Auch die Polizei schien im »Routinemodus« zu sein – kein Riesenaufgebot wie beim letzten Mal, eher eine ruhige Begleitung. Auch Gegendemonstranten gab es nur wenige. Eben las ich was über die Verhaftung von Anselm Lenz gestern Nachmittag. Ein Jogger in auffälliger, schrillbunter Kleidung lief gestern mit einem Begleiter ein paar Meter neben mir vorbei, als ich Fotos an der »Jungen Welt« machte. Da hatte man ihn aber wohl schon wieder laufen gelassen, wenn ich das nach den Lichtverhältnissen (früher Nachmittag) im Video beurteilen kann. Zu der Zeit, als ich dort war, war es nämlich bereits deutlich dunkler. Ich dachte gestern: »Oh, der sieht aus wie Anselm Lenz!« Offenbar war er das wirklich.

Und noch was (21.12.20). Im U- und S-Bahnhof Jannowitzbrücke, also gerade mal vielleicht hundert Meter von dort, wo ich gestern Nachmittag darauf wartete, dass der Schweigemarsch losgehen sollte, spielten sich erschreckende Szenen ab. Der freie Journalist Boris Reitschuster, der auch bei der Bundespressekonferenz akkreditiert ist, wurde dort von der Polizei drangsaliert und bedroht. Er lebt abwechselnd in Deutschland und in Russland und meinte, er sei von der russischen Polizei ja schon einiges gewöhnt. Die seien nicht zimperlich. Doch das Erlebte würde das mühelos toppen…

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