Mittwoch, 26. Oktober 2016

Knöpfe drücken? Wie altmodisch.

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Knöpfe drücken? Wie altmodisch.

Eigentlich hatte ich mir nichts dabei gedacht. Mein über fünf Jahre altes »Android«-Smartphone, ein ehemaliges Spitzenmodell eines bekannten Herstellers, war vor einem halben Jahr an seine Grenzen gekommen. Nein, es funktionierte grundsätzlich noch einwandfrei, doch die vorhandene Software samt noch lauffähiger App-Updates kamen mit den Veränderungen der technischen Entwicklung nicht mehr zurecht.

Nach einiger Recherche für ein neues Gerät entschied ich mich für ein gebrauchtes iPhone, etwa dreieinhalb Jahre alt. Zu meiner Freude gab es dafür sogar vor Kurzem noch ein Update auf das aktuelle Betriebssystem. Diese Nachhaltigkeit beeindruckt mich, denn vergleichbare Updates sind aus mehreren Gründen für die oben genannte Plattform meist nicht mal mehr für deren Spitzengeräte verfügbar, wenn sie mehr als ein Jahr alt sind.

Kurzum – ich bin mit dem Gerät sehr zufrieden. Das nächste große Update wird wohl nicht mehr darauf laufen; für ein Jahr habe ich jedoch ein aktuelles Betriebssystem, und selbst dann bleibt das Telefon ja benutzbar.

Wie heißt es so schön? »Der Teufel steckt immer im Detail.« Mit diesem Detailteufelchen werde ich leben können, doch bei meiner (erfolglosen) Recherche dazu kam ich auf etwas, das mich mehr als nachdenklich macht.

Im Betriebssystem der Konkurrenz gibt es unter »Bedienungshilfen« die Möglichkeit, den »Home«-Knopf zum Annehmen von Anrufen zu benutzen. Ist diese Option eingeschaltet, kann man einfach den Home-Knopf drücken, wenn das Telefon klingelt, und es zum Ohr führen. Damit kann das Gespräch beginnen. Sehr praktisch, wenn man Handschuhe trägt und/oder das Gerät aus einer Jackentasche zieht.

Bei dem Gerät von Apple geht das nicht. Es sind zwar mehr Bedienungshilfen als bei meinem alten Telefon vorgesehen, ausgerechnet diese jedoch nicht. Warum? Ich konnte und kann es mir nicht erklären.

Auch eine Recherche im Internet brachte mir keine Klarheit. Vorher hatte ich eine Mail an Apple geschickt, mit der Frage/Bitte, diese Option anzubieten. Bei der Konkurrenz gibt es sie, wieso hier nicht? Es würden ja auch keine zusätzlichen Hardware-Komponenten gebraucht, sondern nur ein paar Zeilen ergänzter Programmcode.

Meine Frage nach dem »Warum nicht?« blieb unbeantwortet. Natürlich könnte ich das Apple-Headset verwenden, das einen Knopf zum Abheben/Auflegen bietet. Doch ich gehöre zu jenen wenigen Menschen, die darauf verzichten, sich praktisch zu jeder wachen Minute irgendwelche Sounds ins Gehör einspeisen zu müssen. Damit scheidet diese Option für mich aus.

Was mich jedoch regelrecht verstörte waren die Reaktionen in den Foren auf die Frage, ob und wenn ja wie denn der Home-Knopf zum Annehmen von Anrufen genutzt werden könnte.

Abgesehen davon, dass alle Gesprächsthreads die ich fand auffallend kurz ausfielen (maximal ca. zehn Posts pro Anfrage), verstörte mich vor Allem die Art der Reaktionen. Die Anfragenden erklärten jeweils klar und schlüssig, warum sie diese Möglichkeit haben wollten (Handschuhe etc.), doch die Antworten waren oft polemisch gefärbt oder zogen das Ganze ins Lächerliche. »Wie kann man nur solch ein Problem haben?« – so in etwa könnte ich den Tenor der Reaktionen zusammenfassen. Vereinzelte Tipps mit Apps liefen ins Leere – es gibt keine App, die diese Funktion nachrüsten würde. Auch den Hinweis, dass es ja Smartphone- bzw. Tablet-kompatible Handschuhe gäbe, finde ich nicht wirklich hilfreich.

Irgendwie spiegelte sich da im Kleinen etwas, das ich auch im Großen wahrzunehmen glaube: Die meisten Menschen passen sich Vorgaben an, die von außen kommen – vor Allem, wenn sie in ihr Selbstbild passen. In diesem Fall sind es technische Vorgaben, technische Standards, die von einem großen Unternehmen gesetzt werden. Es gibt aber Ausnahmen: wenn die Vorgabe nicht passt.

Diese werden nicht hinterfragt, ja Zweifel oder die Frage einer Anpassung der Technik an als »altmodisch«, »altbacken« oder »uncool« empfundene physische Bedürfnisse werden gar nicht verstanden oder bieten gar Anlass für Polemik und Häme.

Für mich spiegelt das im Kleinen, was womöglich im Großen unser weiteres Schicksal bestimmen wird: »Fortschritt« wird als absolut gesehen, als der Weg weg von dem, was wir sind. Wir passen uns unseren eigenen fixen Ideen an, nicht unsere Ideen unseren direkten, physischen Bedürfnissen und Grenzen. Dafür gibt es unzählige weitere Beispiele.

Es ist weniger, dass es geschieht. Es ist die Selbstverständlichkeit, mit der es geschieht. Alle wissen, dass das gut für uns ist. Ist es das wirklich? Manchmal fühle ich mich als der einzige Mensch unter der Sonne, der daran zweifelt.

 

Nachtrag 26.8.17: Die Grenzen zwischen dem, was ich qua meines Alters für Science Fiction halte (und was es bis vor vielleicht 15 Jahren auch noch war) und dem, was möglich ist verschwimmen zusehends. Gerade habe ich ein Video über ein neues, »intelligentes« Portemonnaie gesehen, über Indiegogo. Das Video dazu steht auf YouTube. Die Präsentation des Produktes ließ mich mit einer Mischung aus Grausen und Faszination zurück. »No, I’m not Superman. I have Volterman.« Ja, du hast. Und irgendwie glaubst du es trotzdem.

Nachtrag 16.1.18: Über einen Link fand ich zu einem Artikel bei der NZZ, den ich beachtlich finde. Hier wird auf ein paar Zeilen zusammengefasst auf den Punkt gebracht, was ich oben (oder auch in anderen Beiträgen hier) versuche zu verdeutlichen und was mir zunehmend im Alltag begegnet. Wir alle sind, mehr oder weniger, Gläubige einer Religion: Mit den Möglichkeiten des Digitalen haben die Bestrebungen, den als unvollkommen verstandenen Menschen mit seinen »tierischen« Bedürfnissen und seinem vergänglichen Körper abzuschaffen und durch eine perfekte, allmächtige Maschine zu ersetzen einen mächtigen Katalysator bekommen. In ihrem radikalen Nihilismus findet diese Weltsicht ihre Entsprechung in Bewegungen wie dem IS.

Nachtrag 18.1.18: Die Kontroverse begann vor einigen Wochen in den USA: Ein Schüler hatte herausgefunden, dass das Apples Handy-Betriebssystem iOS die Prozessorleistung und andere energiefressende Vorgänge drosselt, wenn der Akku des Telefons zu stark gealtert ist, um bestimmte Stromspitzen zu verarbeiten. Ohne diese Maßnahme können Telefone mit gealterten Akkus schlagartig ausgehen, abstürzen. Als dies publik wurde, gab es teils geradezu hysterische Reaktionen in der Öffentlichkeit, bis hin zu Schadenersatzklagen gegen Apple. Jetzt hat sich der Konzern entschuldigt und angekündigt, diese Funktion abschaltbar zu machen, zusammen mit einer Akkutausch-Rabattaktion. Nun werden sich die Leute womöglich bald beschweren, dass die Telefone abstürzen, wenn …

Das einzige, was ich selbst Apple vorwerfen würde ist, diesen Sachverhalt nicht offen kommuniziert zu haben, als die Funktion mit iOS 10.2.1 eingeführt wurde. Ansonsten erstaunt mich die Reaktion eines Teils der Öffentlichkeit über eine eigentlich vernünftige Idee. Doch die Leute hassen es, wenn sie nicht wählen dürfen …  Eine gute Zusammenfassung der Ereignisse gibt es hier zu lesen – allerdings auf Englisch.

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2 Kommentare zu »Knöpfe drücken? Wie altmodisch.«

  1. Nein du bist nicht der einzige Mensch, der daran zweifelt. Ich finde deinen Beitrag sehr tiefgehend… weil es das widerspiegelt, was in allen Bereichen geschieht. Das Menschen nicht mehr selbstbestimmt, selbstverantwortlich durch eigenes reflektieren und denken ihre Meinung bilden, ihr Leben gestalten usw. sondern nur das tun, was ihnen von außen vorgesetzt oder aufgepfropft wird. Und ja der Punkt den du ansprichst: weg von dem, was wir sind… das geht damit direkt einher. Irgendwann wird der Weg wieder zurückgehen: zu dem, was wir wirklich sind.

  2. Hallo Caro,

    danke für Deinen Kommentar. Und ich bin jetzt mal neugierig – hast Du meinen Blog über eine Internetsuche gefunden (z.B. Google) oder über einen Link (z.B. über Claudia Klingers Blogs)?

    Liebe Grüße

    Claus

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