Mittwoch, 24. August 2011

Spaß

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Spaß

Gerade las ich in einer Meldung, dass sich die Zahl der Fälle von Gefährdung von Verkehrsflugzeugen durch Blendung von Piloten mit Laserpointern stark erhöht habe: 2010 sollen es achtmal so viele Zwischenfälle wie 2009 gewesen sein.

Nun kann ich verstehen, dass gerade junge Leute diese Dinger sehr faszinierend finden. Sie sind für ein paar Euro in vielen Läden zu bekommen, und ihr heller, gebündelter Lichtstrahl reicht extrem weit. Wahrscheinlich hätte ich damit auch herumgespielt, wenn es zu meiner Jugendzeit schon so etwas gegeben hätte.

Vielleicht hätte ich sogar nach tief fliegenden Flugzeugen gefunzelt, in dem Ehrgeiz, eines mit meinem Strahl zu treffen. Ich wohnte in der Einflugschneise des Frankfurter Flughafens, Gelegenheit hätte es genug gegeben. Ob ich so weit gegangen wäre, ihn von vorne auf ein anfliegendes Flugzeug zu richten, weiß ich nicht. Vermutlich hätte ich mich doch damit begnügt, von der Seite und von unten darauf zu zielen. Denn wie blendend hell diese Dinger noch auf größere Entfernung sind, wäre mir nach einigem Herumprobieren wohl klar geworden.

In dem Bericht von »Spiegel Online«, der weiter oben verlinkt ist, geht es um den Prozess gegen eine 35-jährige Nürnbergerin, die mit einem Laserpointer Piloten geblendet haben soll – erst die eines großen Linienflugzeugs mit 76 Passagieren an Bord, dann die einer kleinen Chartermaschine mit sechs Personen. Der zweite Vorfall ereignete sich zwanzig Minuten nach dem ersten. Beide Male seien die Piloten zwar erheblich geblendet worden, behielten jedoch die Kontrolle über ihr Flugzeug.

Laut Ermittlungen hat die Frau eingeräumt, aus Spaß mit dem Laserpointer aus dem Fenster geleuchtet zu haben, bestritt jedoch jede Absicht, die Piloten bewusst geblendet haben zu wollen. Das erinnert mich an die Aussagen eines Gymnasiasten, der gerade hier in Berlin vor Gericht steht, weil er nachts auf einem U-Bahnhof beinahe einen Menschen totgetreten hatte. Er erinnert sich an viele Details vor und nach dem Vorfall, nur an die Tat selbst kann er sich erstaunlicherweise nicht erinnern. Er hätte so was wie einen »Filmriss« gehabt, alles sei ihm so peinlich.

Für mich ist auch die Aussage der Frau wenig glaubwürdig, zum einen, weil es mir sehr unwahrscheinlich erscheint, dass beim wahllosen, ungezielten Leuchten aus dem Fenster zufällig die Cockpitfenster einer Verkehrsmaschine frontal getroffen werden, und zum anderen das Gleiche dann zwanzig Minuten später noch mal bei einer weiteren, viel kleineren Maschine geschah. Und die vielen, die nicht ermittelt werden, haben halt alle auch »zufällig« die Flugzeuge und Hubschrauber von vorne erwischt, passiert halt.

Dass das eine gefährliche Sache ist, sollte sich eigentlich herumgesprochen haben, wenn man denn nicht selbst darauf kommt. Immerhin ist es nun in den vergangenen Jahren schon ein paar Mal durch die Medien gegangen. Doch das scheint egal zu sein, ja ich habe den Verdacht, es wird gar nicht mehr verstanden. Nicht, dass die Worte und Sätze, die davon berichten, rein sprachlich nicht verstanden werden, sondern ich vermute, dass es einen Mangel an etwas gibt, das ich hier »unmittelbares Verständnis« nennen möchte.

Wenn ich einem Menschen mit einem Laserpointer in die Augen leuchte, ist er geblendet, sieht nichts mehr, und das womöglich nicht nur für einen Augenblick lang. Und wenn das in einem kritischen Moment geschieht, bei dem eine gute Sicht lebenswichtig ist, kann das Folgen haben. Wenn ich einem Menschen auf dem Kopf herumtrample, kann er sterben.

Eigentlich selbstverständlich. Ich habe jedoch den Eindruck, dass es das zunehmend nicht mehr ist. Realität, das heißt für mich unmittelbar Körperliches und Körperbezogenes, und Virtuelles vermischen sich immer mehr, und mich beschleicht der Verdacht, dass bei denjenigen, die damit aufgewachsen sind, nach und nach nicht nur die Unterscheidungsfähigkeit zwischen beiden verloren geht, sondern zunehmend auch die Bereitschaft dazu, sich diese Fähigkeit überhaupt anzueignen. Eine brisante Mischung, die die Dinge zu einer ganz eigenen Dynamik aufkochen kann. Hier sehe ich auch die Gefährlichkeit der Apologeten einer solchen Vermischung, die das Verlernen dieser Unterscheidungsfähigkeit quasi zum Programm erhoben haben.

Alle sind wahnsinnig vernetzt, nur nicht mit dem, was unmittelbar um sie herum geschieht. Diese »Flucht vor der Unmittelbarkeit« lässt sich in vielen Bereichen beobachten. Alles muss kontrolliert, gestaltet, gemacht, moderiert sein. Ausschließlich Erscheinungen, an denen die Merkmale eines gestaltenden, prägenden menschlichen »Ich«  erkennbar sind (idealerweise des eigenen) gelten als wertvoll, sind ansonsten bestenfalls Verfügungsmasse. Der Körper ist zunehmend nur noch im Hinblick auf die Selbstdarstellung, das Image, wichtig, ansonsten sind seine (unkontrollierbaren) Funktionen eher peinlich und lästig. Also transzendieren wir ihn – er ist ein Stück widerborstiger Natur, die wir entsprechend behandeln. Wir stehen gerade in den Startlöchern, unsere Herrschaft über sie (und somit auch unseren Körper) zu vervollkommnen – glauben wir. Dumm nur, das er das ist, was uns ausmacht, und dass er sterblich ist.

 

Nachtrag 26.8.11: »Am Auffallendsten ist auf den ersten Blick, dass sich der Mensch selbst zum Gott gemacht hat, da er inzwischen die technischen Fähigkeiten zu einer ›zweiten Erschaffung‹ der Welt besitzt, die an die Stelle der ersten Schöpfung des Gottes der traditionellen Religion getreten ist. Man kann es auch so formulieren: Wir haben die Maschine zur Gottheit erhoben und werden selbst Gott gleich, indem wir sie bedienen. Welche Formulierung wir wählen, ist nicht wichtig; entscheidend ist, dass sich der Mensch im Augenblick seiner größten Ohnmacht einbildet, dank seiner wissenschaftlichen und technischen Fortschritte allmächtig zu sein.« Erich Fromm »Haben oder Sein«, München 1979, S. 147 oben

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