Mittwoch, 8. Juni 2011

Leben und ich

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Leben und ich

»Mein Leben und ich« ist der Titel einer populären Fernsehserie auf Super RTL, der mich zu diesem Text inspirierte. Diese läuft nun schon Jahre als Wiederholung, auch in anderen europäischen Ländern. Für eine Soap bietet sie etliche interessante, ungewöhnliche Details, war für diverse Fernsehpreise nominiert und gewann einige Auszeichnungen. Ich will hier jedoch nicht auf die Handlung eingehen, sondern einfach mal den Titel wörtlich nehmen.

Mein Leben und ich – das sind zweierlei Dinge, und da es zwei sind, bedeutet es auch, dass es unterschiedliche, voneinander getrennte Dinge sind. Hier stehe »Ich«, dort mein Leben. Ein »Ich« schaut auf das Leben also von außen, als daneben stehend. Oder sollte ich besser sagen, darüber stehend?

»Ich« also als daneben Stehende(r), Zuschauer, als Konsument. Ein Konsument, der sein Leben ansieht wie seinen Hund, etwa »Schnuffi und ich«, oder wie »Meine beste Freundin Manuela und ich«. Ich stelle mir gerade diese Sätze als Bildunterschriften vor, unter Familienschnappschüssen, wie sie wohl jeder kennt.

Dieses »Ich« lebt jedoch dieses Leben, eigentlich. Eigentlich sind doch das »Ich« und das erlebte Leben eben dieses Ichs eins, oder? Also, «Ich« weigere mich nach wie vor, das als getrennt zu sehen. Natürlich habe »ich« eine Geschichte, natürlich kann »ich« etwas über den Verlauf »meines« Lebens erzählen, doch es bleibt »mein Leben« und ist eben nicht »Mein Leben und Ich«.

Diese »dualistische« Sichtweise, die für mich so offensichtlich ist und die sich doch so schwer greifen lässt, verkörpert für mich eine sehr moderne Schizophrenie: Die Trennung von Erlebendem und Erlebtem. Das, was da erlebt, hat zunehmend nichts mehr wirklich mit dem zu tun, was da passiert – es wird konsumiert wie eine Fernsehsendung oder wie ein Kinofilm. Den vergisst man wieder – oder erinnert sich an ihn, wenn es irgendwas darin gab, was sich zu erinnern lohnte.

»Mein Leben und ich« heißt auch, dass dieses »Ich« als etwas vom Leben Getrenntes dieses Leben in jeder Hinsicht gestaltet, so wie ein Kind mit Knetmasse umgeht. Es kann verziert und gefärbt werden; Teile werden weggenommen oder hinzugefügt – das geschah wohl auch früher schon, doch es wurde meines Erachtens noch mehr als eine »Selbst-Formung« wahrgenommen, die es ja auch war. Das Formende und das Geformte waren weitgehend eins, nicht zweierlei. Heute hat diese »Selbstformung« zunehmend nichts mehr mit einem Selbst zu tun – »Ich« entscheidet und formt und schaut dabei zu.

Und dieses »Ich« kann nun die volle Kontrolle haben, denn es schaut ja von Außen auf das Leben, hat sich von der Einheit emanzipiert, die Rückkopplung unterbrochen, aus einem weitgehend eins Seienden zwei gemacht. Keine Verstrickungen mehr – alles unter Kontrolle. Das empfinden die meisten wahrscheinlich als Fortschritt, als Emanzipation, gar als Evolution. Und auf den ersten Blick scheint es das auch zu sein.

Doch ich sehe auch eine große Gefahr darin zu glauben, wenn man erst ganz »daneben« stünde, hätte man auch alles unter Kontrolle: »Ich« denkt, damit würden persönliche Eigenarten und Sehnsüchte, Ängste und Traumata bedeutungslos – also das, was uns als Einzelne eigentlich ausmacht. Sie gehören dann ja zu »meinem Leben«, zu meiner Verfügungs- und Modelliermasse, und »Ich« stehe jetzt hier, daneben, glaube die Kontrolle darüber zu haben, und somit habe »ich« nicht mehr wirklich was »damit« zu tun. Und mit den entsprechenden Insignien des »Dazugehörens« ausgestattet, kann »ich« mich jetzt so richtig gut fühlen.

Die Begeisterung für dieses moderne Konzept scheint groß zu sein, wenn mein Eindruck mich nicht völlig täuscht. Jeder hätschelt sein »Haustier«, sein Leben, gibt ihm »Chappi«, damit’s »ein ganzer Kerl« wird. »Optimiert« hier, tunt es da. So rauscht alles vorbei, und »Ich« bin der Macher, der Bestimmer, wie Kinder gerne sagen.

»Mein Leben und ich« – das könnte die Unterschrift unter einem Postkartenbild sein, das jeden von uns als Michael Jackson-Verschnitt auf dem Weg in eine strahlende Zukunft zeigt. Und wenn dann irgendwann mal so was wie der Moment kommt, der »Mein Tod und ich« heißen müsste – dann werden wir alle Nein dazu sagen. Das hat mit uns nichts zu tun.

 

Nachtrag 26.1.13: Ein passendes Accessoire für den Star kommt wohl demnächst auf den Markt: Die MeCam, eine kleine Kamera, die per Quadrocopter der Celebrity folgt und die Aufnahmen als Stream auf ein Smartphone übertragen kann. Wie das gehen soll? Bitte, hier ist es zu sehen. Eine bessere Realsatire kann ich mir nicht vorstellen. Habe mich fast bepisst vor Lachen …

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