Freitag, 29. April 2011
Massenkarambolage – die Antwort liegt im Wind
Massenkarambolage – die Antwort liegt im Wind
Langsam empfinde ich es als gespenstisch. Waren meine Erfahrungen, die mich zu den Gedanken bezüglich der Raver-Katastrophe brachten (»Raver-Katastrophe ohne Raver«), noch auf eine gewisse Weise abstrakt, so sind die Dinge, die ich jedes Mal erlebe, wenn ich Auto fahre oder im Auto mitfahre, sehr konkret.
Mir ist aufgefallen, dass schon seit Längerem der Begriff »Mindestabstand«, den ich als eine der ersten Grundregeln in der Fahrschule kennen lernte, offenbar für viele ein Fremdwort geworden ist. Mir begegnet das Problem außerhalb von Ortschaften laufend, und wenn ich selbst fahre, passiert es mir öfters, dass ich auf der Autobahn um meinen eigenen Mindestabstand sogar regelrecht kämpfen muss. Auch wenn eigentlich genug Platz da wäre, hängen die meisten dicht hintereinander, ja kleben manchmal fast Stoßstange an Stoßstange. Da es fast alle tun, bin ich der Verrückte, der etwas Ungehöriges macht, und so werde ich konsequenterweise auch schon mal angehupt oder mit Gesten bedacht.
Wahrscheinlich hätte es auch bei ausreichenden Abständen gekracht, denn der Anlass, die Staubwolke, war ja da. Doch wenn zumindest die meisten ihren Mindestabstand eingehalten hätten, da bin ich überzeugt, wäre das alles wohl ungleich glimpflicher abgegangen. Doch davon kein Wort, nirgends. Nicht mal der vorsichtig geäußerte Verdacht, dieser Faktor könnte eine Rolle gespielt haben. Alles höhere Gewalt, oder besser, die Schuld der anderen.
Man überlegt, inwieweit die Bauern der umliegenden Felder mitschuldig sein könnten. Wären nicht so viele Menschen zu Tode und zu Schaden gekommen, würde ich lachen. Noch haben wir keine voll gekapselten, gepanzerten, vollklimatisierten, vollautomatischen Straßen. Noch bewegen wir uns in einer (Mit-)Welt, die auch mal Herausforderungen an uns heranträgt, und seien es nur Windböen oder Windhosen, die Staub aufwirbeln. Das mag vielen nicht passen, doch es ist so. Die moderne Technik suggeriert uns, dass wir alles unter Kontrolle haben, und wenn sie uns mal entgleitet, dann muss es dafür einen Schuldigen geben – einen Schuldigen außerhalb von uns selbst. Wir haben damit nichts zu tun. Wir sind die Aktiven, die Leistungsträger. Wir handeln, alles hat sich gefälligst danach zu richten. Und wenn es mal nicht gut geht, dann gibt es dafür einen Schuldigen. Den muss man nur ausfindig machen.
Interessant finde ich den Widerspruch (ist es überhaupt einer?) zwischen dem Zeitgeist, der den Spruch »Jeder ist seines Glückes Schmied!« um den unausgesprochenen Nebensatz bereichert », … was scheren mich die anderen?« und als Grundmaxime postuliert, und dem Ablehnen der persönlichen Verantwortung für das eigene, ganz konkrete Handeln. Nein, eigentlich ist es kein Widerspruch, denke ich. Es geht wunderbar zusammen. Vielleicht ist es ja die Maxime des Kapitalismus, auf die persönliche Ebene heruntergebrochen: »Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren.« Das passt. Wie außen, so (zunehmend) auch innen.