Dienstag, 24. Mai 2016

»Das ist irgendwie komisch«

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»Das ist irgendwie komisch«

Körper sind schon was Komisches. Wirklich? Sie werden besprüht, gepierct, mit bleibenden Etiketten versehen. Einfach so. Nein, das alles ist nicht komisch. Es ist selbstverständlich.

Komisch ist es, sich unter die Achseln zu fassen. Komisch ist es, die Wirksamkeit eines Produktes zu testen. »Axe«, eine Kosmetikmarke, bewirbt gerade ein neues Deo, ein »Antitranspirant«, das 48 Stunden(!) jegliche Schweißbildung unter der Achsel(!) verhindern soll, einer Stelle, an der wir alle bevorzugt schwitzen und an der auch Pheromondrüsen unseren eigenen, feinen Duft verströmen. Der kann aus verschiedenen Gründen auch mal heftiger werden, dann nehmen unsere Nasen ihn bewusst wahr – als eher angenehm oder auch unangenehm.

Eine gekünstelt-sanft-sexy Frauenstimme aus dem Off »berät« in einem Werbespot einen gut aussehenden Mann im besten Alter über die Vorzüge der »Axe«-Produkte. In ersten Teil sprüht der Mann sich aus einer schwarzen Flasche auf sein blaues, offen stehendes Hemd. »Dieses Deo kennst du schon«, gurrt besagte Frauenstimme, »aber jetzt gibt es das Neue …«

Weiße Flasche. Jetzt der Mann mit nacktem Oberkörper. Er sprüht sich damit kurz unter jeder seiner Achseln ein. Dann greift er ein wenig skeptisch mit seiner Hand unter seine linke Achsel.

»Was machst Du da?«, säuselt die Frauenstimme. Der Mann, leicht verlegen: »Wollte nur mal sehen, ob’s wirklich trocken ist.« »Mach’ das nicht. Das ist irgendwie komisch!«, meint die Frauenstimme gurrend, mit irritiertem Unterton.

Wir sollten unsere Körper abschaffen. Perfekte Avatare wären viel praktischer. Wir sind eh kollektiv auf dem Weg dorthin. Alles, was mit unserer Körperlichkeit zu tun hat, »ist irgendwie komisch«. Kritisch sein natürlich auch, wenn das bedeutet, etwas nicht genau zu wissen. Wenn Kritik, dann wissend. Anders geht gar nicht.

Leben ist irgendwie komisch. Mach das nicht.

 

Nachtrag 12.8.17: Wie immer freue ich mich, ähnliche Gedanken aus berufenem Munde (bzw. berufener Feder) zu lesen. Das ist so beruhigend. Es gibt mir das Gefühl, (noch) nicht völlig verrückt zu sein. Ja, es ist auch nur eine Meinung. Aber eine, die in einem renommierten Blatt (bzw. auf dessen Webseite) veröffentlicht wurde. Also da ist was dahinter, anders als bei diesem Bla Bla hier. Der Artikel ist sehr kurz; er nimmt also auch nichts von Ihrer kostbaren Zeit weg.

Zitiert wird in diesem Kommentar des Guardian (in Englisch) Gregor Gysi. Er soll sich darüber geäußert haben, wie der »pornografische Blick« der westdeutschen Mehrheit so etwas Einfaches und Selbstverständliches wie das Nacktbaden weitgehend abgeschafft hat. Das war es nämlich in der DDR, sogar gesetzlich abgesichert. Vereinfacht ausgedrückt bedeutete es, dass Nacktbaden quasi der Standard war, baden in Badekleidung die Ausnahme. Heute ist es, zumindest im Gebiet der ehemaligen DDR, genau anders herum, wie wir wissen. Im »Westen« war es hingegen immer schon so.

Ich habe mich an anderer Stelle schon mal dazu geäußert. Es kommt auch zur Sprache, dass bis auf eine winzige Minderheit nackt zu baden für Menschen unter fünfzig beinahe undenkbar ist. Für mich hat das allerdings mehr Aspekte als nur den, dass in einer Konsumentenkultur die Leute mehr Spaß an der Selbstdarstellung haben.

Nachtrag 1.12.17: Habe eben einen Kommentar beim Guardian über den neuesten »Craze« aus den USA gelesen: die »Arm Vagina«. Damit ist die kleine Hautfalte gemeint, die bei den meisten Menschen, Männern wie Frauen, entsteht, wenn der Arm an den Körper gedrückt wird. Natürlich wird das sofort als hässlich gebrandmarkt, und der mehr oder weniger direkte Aufruf geht raus an die Frauen (ja, an die Frauen!): »Das muss weg!« Bodyshaming, die wer-weiß-wievielte. Was damit vor Allem im Selbstbild vieler Mädchen und junger Frauen angerichtet wird, mag ich mir gar nicht ausmalen – dazu reicht meine Phantasie gar nicht. Ich stimme mit der Kommentatorin völlig überein: Das einzig Hässliche hier sind die Leute, die so etwas propagieren.

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