Dienstag, 3. September 2013

Die FDP hat längst gewonnen

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Die FDP hat längst gewonnen

Egal wie die kommende Bundestagswahl ausgehen wird – eine Partei hat längst gewonnen, selbst wenn sie nicht mal die Fünfprozenthürde schaffen sollte: Die FDP.

Diese Partei vertritt am offensten und radikalsten von allen eine neoliberale Ideologie – den totalen Markt, die totale Konkurrenz aller gegen alle; sie propagiert den durchoptimierten, perfekt »flexibilisierten« Marktteilnehmer: Menschen sind in dieser Weltsicht nur noch Verfügungsmasse des Marktes, müssen sich ihm anpassen oder untergehen.

Erscheint Ihnen das zu phantastisch? Übertrieben? An den Haaren herbeigezogen? Nein, es ist längst Alltag. Neulich war ich auf meine alten Tage mal wieder tanzen. Nun, natürlich hatte ich ein wenig Bedenken, schon an der Einlasskontrolle zu scheitern. Ich habe da aus vergangenen Jahrzehnten so meine Erfahrungen … Doch da es eine »queere« Party sein sollte, passte es anscheinend doch – zu meinem leisen Erstaunen kam ich ohne Weiteres ‘rein.

Es ist schon länger her, dass ich als Älterer mit so vielen jungen Leuten zwischen 20 und 30 auf einer Tanzfläche war. Nun, die Musik passte mir – Funk-, Soul-, Pop- und Discohits der siebziger und achtziger Jahre. Na ja, vielleicht nicht gerade die Musikstile, mit denen Jüngere viel anfangen können, muss ich fairerweise sagen. Für die meisten dürften Techno oder Hip Hop vertrauter sein – doch dafür gab es ja eine zweite Tanzfläche mit eben dem. Ich genoss es sehr, was die Musik in mir auslöste, mich zu bewegen und zu fühlen. Kontrolle aufzugeben, mich tanzen zu lassen. Getanzt zu werden. Genau darum ging es, als ich jung war.

Hin und wieder schaute ich ein wenig genauer um mich. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich begriff: Alle waren sehr darauf bedacht, sich nur so zu bewegen, dass es »gut aussah«. Niemand um mich her, und die Tanzfläche war ziemlich voll, ging auch nur ansatzweise aus sich heraus, riskierte es, selbst nur mal für eine Sekunde »Scheiße auszusehen«.

»Gut aussehen«, im ganz wörtlichen wie im übertragenen Sinne, ist heute das A und O. »Scheitern« und »Scheiße aussehen« klingen nicht nur ähnlich, sie sind heute fast synonym.

Wer bis hierhin gelesen hat und immer noch rein gar nichts mit meinen Gedanken anfangen kann, dem könnte ein Exkurs zum gleichen Thema bei »Spiegel Online« oder der »FAZ« weiterhelfen. Dort ist aus berufenerem Munde als meinem zu hören bzw. zu lesen, was ich hier verdeutlichen will.

Nun – was hat die FDP damit zu tun? Für mich steht die FDP eben für die reinste Verkörperung der neoliberalen Ideale vom totalen Markt und dem »total flexibilisierten Menschen«. Die anderen Parteien vertreten dies natürlich mehr oder weniger auch, doch nicht so offen und nicht so radikal. Dass ausgerechnet eine rot-grüne Regierung vor etwa zehn Jahren diese Ideologie so rücksichtslos in Deutschland implementiert hat ist eine andere, traurige Geschichte.

Um es kurz zu machen: Nach einer Stunde hatte ich gut abgehottet, dann kam ein anderer DJ mit anderem Programm und ich war sowieso satt. Ich ging mir noch ein Bier holen, und dabei kam mir auch eine Erkenntnis: Ich war hier, um zu tanzen. Sichtbar zu sein inklusive auch mal Scheiße aussehen gehörte für mich dazu. Die anderen waren jedoch in erster Linie hier um sich darzustellen, um gut auszusehen.

Es geht darum, auch Scheitern und Unperfektes zu akzeptieren – vom winzig kleinen, sehr persönlichen (auch mal »Scheiße aussehen«) bis hin zum ganz großen Scheitern als Gesellschaft. Wir bewegen uns jedoch kollektiv davon weg, wollen immer gut aussehen, immer die Gewinner, immer die Stars sein. Das erzeugt einen unglaublichen Druck auf den Einzelnen, der den weitaus meisten Jüngeren, doch auch vielen Älteren nicht bewusst ist. Mehr noch, dieser wird sogar systematisch verdrängt und wir sind sogar noch stolz darauf, weil wir uns so leistungsfähig, kreativ und überlegen fühlen. Dieser Druck ist ganz im Interesse des Marktes und derjenigen, die dort das Sagen haben. Von dieser Seite gibt es daher keinerlei Interesse daran, dass er geringer wird, im Gegenteil: Er wird die Besten der Besten nach oben pressen, ist längst dabei, eine neue Elite, eine Leistungselite zu züchten – die Art von Menschen, die eine entfesselte Wirtschaft, ein zügelloser Markt braucht und die den Druck auf den Rest weiter erhöhen werden. Die die Gewinner der Gewinner sind.

Die FDP ist in Form der subtil allgegenwärtigen neoliberalen Ideologie schon längst in uns, ist im übertragenen Sinne inzwischen der Motor der meisten unserer Aktivitäten geworden. Im Außen brauchen wir sie nicht mehr: Die Symbole, die herausragenden Vertreter des Neoliberalismus an der Oberfläche können ruhig bedeutungslos werden, ja von der Bildfläche verschwinden; es spielt eh’ keine Rolle mehr. Denn längst wächst dieser als nicht hinterfragter Bewusstseinszustand wie ein sich weit verzweigendes Myzel rasant in der Tiefe weiter – in den Tiefen unserer Psychen, unseres Selbstverständnisses.

Wir haben die Wahl. Noch. Bitte entschuldigen Sie meinen Zweckoptimismus.

 

Nachtrag 24.9.13: Nun ist es also passiert.  Erstmals seit 1949 gibt es keine FDP-Fraktion mehr im Deutschen Bundestag. Gleichzeitig erscheint Experten ein Mindestlohn von 8,50 .– als zu hoch. Das mag sogar bedingt stimmen – erscheint mir aber zynisch, denn die Weichen hätten bereits vor Jahren anders gestellt werden müssen. Jetzt ist es schon zu spät dafür. Wir brauchen die FDP nicht mehr – sie hat sich längst in die Köpfe und Herzen der Menschen verabschiedet.

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