Montag, 23. Mai 2011

Botox und das ewige Leben

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Botox und das ewige Leben

Gestern sah ich mir einen Beitrag der Arte-Reihe »Xenius« an. »Xenius« ist ein Wissensmagazin, das verschiedene Themen aufgreift. Diese Sendung ging über Botox, das Gift der Botulinus-Bakterien. Es ist das stärkste bekannte natürliche Gift. Schon eine unvorstellbar winzige Dosis kann einen Menschen töten.

Dieser Stoff wird seit einiger Zeit auch medizinisch verwendet, teils, um krankhafte Muskelverspannungen zu lösen, besonders aber in der kosmetischen Medizin. Denn es löst lang anhaltend Anspannungen, indem es die Muskulatur lähmt. Der Effekt hält bis zu sechs Monate an. Somit verschwinden lästige Gesichtsfalten, wenn die Muskeln unter der Haut erlahmen. Man sieht wieder viel glatter und somit jünger aus, attraktiver, »schöner«.

Diese Aussicht finde ich in der Tat verlockend, und etliche Frauen und zunehmend auch Männer »verjüngen« sich inzwischen auf diese Weise, Tendenz stark steigend. Somit war es nur eine Frage der Zeit, bis diese sich zur Massennachfrage hinentwickelnde Methode auch nach Möglichkeiten der Massenabfertigung verlangte: In Berlin gibt es nun einen Schönheitssalon, der »Botox to go« anbietet. Weitere werden sicher folgen. Ohne langes Argumentieren und Verhandeln bekommt Mann/Frau hier die Botox-Injektion, und die Falten sind weg – für bis zu einem halben Jahr. In dem Filmbeitrag wird eine Frau gezeigt, offenbar Stammkundin, die sich die Spritzen setzten lässt mit der Selbstverständlichkeit, mit der sie wohl auch zum Friseur geht. Sie ist supergepflegt, alle Härchen sitzen, die aufgeklebten Wimpern sowieso, vom Make-up gar nicht zu reden. Einfach perfekt. Und so will sie bleiben, bis ins hohe Alter am Liebsten.

Perfektion, vor allem äußerliche, ist heute wichtiger denn je. Galt bislang nur derjenige als »Assi«, der die falschen Klamotten trägt (also die falschen Marken), so könnte, und damit beziehe ich mich jetzt wieder auf einen Kommentar der Moderatoren der Sendung, es in Zukunft auch derjenige sein, der sein Äußeres »verkommen« lässt. Verkommen in dem Sinne, dass er/sie eben kein Botox verwendet, um die Falten im Gesicht wegzumachen. Und das am besten schon vom Jugendalter an, damit sie gar nicht erst entstehen. Was darauf hinausliefe, dass irgendwann alle in weitgehend ausdruckslose, »junge« Gesichter schauen würden, denn die vielen gelähmten Muskeln erlauben nur eine rudimentäre Mimik. Und dazu käme wohl etwas, das heute schon sehr populär ist, nämlich seine Augen mit abgedunkelten Scheiben zu verdecken – was in seiner unpersönlichen Erscheinung den Gesamteindruck von morgen vorwegnimmt. Alle, die da nicht mitmachten, wären »verkommene Subjekte«, denen man das auch ansieht …

Damit wäre zumindest äußerlich etwas realisiert, von dem wohl jede(r) mal geträumt hat: die ewige Jugend. Und die rasanten Fortschritte in Technik und Medizin lassen einige schon träumen, dass auch der »Rest« bald noch folgen wird – dass unser Körper als Ganzes unsterblich werden würde, oder zumindest die Lebensspanne erheblich ausgedehnt werden kann. Dann wären auch Krankheit und Tod zunehmend nur noch etwas für »Assis« – halt für Leute, die sich die entsprechenden Behandlungen nicht leisten können, oder schlimmer, nicht leisten wollen.

»Assis«, das meint »Asoziale«, die außerhalb des allgemeinen sozialen Konsenses Stehenden. Die, die »draußen« sind, die nicht dazugehören, weil sie die Spielregeln der Mehrheit nicht akzeptieren können oder wollen. Und die »draußen« sind, damit die Mehrheit sich als »dazugehörig« fühlen kann, denn sie sind ja nicht so wie »die da«. Sie erfüllen die ungeschriebenen Normen, die immer wichtiger werden. Je mehr (scheinbare) Freiheiten wir haben, desto wichtiger scheint es zu werden, »dazuzugehören«. Und dazu gehört nur, wer sich in den jeweils akzeptierten Bahnen bewegt, in den Laufställchen dessen, was als »angesagt« oder zumindest als »akzeptabel« gilt. Wenn du das nicht schaffst (oder schaffen willst), hast du nicht die Kontrolle, liegst daneben, bist kein Sieger.

Verfall, Krankheit und Tod im anderen zu sehen scheint schon heute für viele eine Zumutung, wenn nicht gar eine persönliche Beleidigung zu sein. In einem anderen Artikel schrieb ich schon eine kleine Anekdote dazu.

Es ist weniger so, dass ich selbst damals keine Gedanken wie »Diese Alten!« gehabt hätte, als ich jung war. Irgendwo gab es in mir jedoch diese leise Stimme, die sagte »Das ist auch deine Zukunft! Schau hin!«. Zum anderen war mir der Tod schon in meiner Kindheit begegnet, als mein Großvater vor meinen Augen zusammenbrach und starb. Ich traf ihn wieder, als erst mein Vater und dann meine Mutter gingen. Er war und ist also etwas relativ Reales für mich. »Relativ« deshalb, weil mein eigener Tod trotzdem etwas ist, was ich, wenn überhaupt, erst begreifen werde, wenn es so weit sein wird. Dass es irgendwann eines nahen oder ferneren Tages so weit sein wird, ist die einzige Sicherheit, die ich wirklich habe. Je mehr ich das an mich heranlassen kann, desto leichter fühle ich mich, desto dankbarer. Und das alles hat seine eigene Schönheit.

Ich spiele jetzt mal den Gedanken durch, was wäre, wenn ich die Entscheidung hätte, ob ich altern und sterben will oder nicht. Vielleicht dann nach, sagen wir, vierhundert Jahren, wenn die Langeweile mich aufzufressen begänne, weil ich alles, aber auch wirklich alles selbst bestimmen kann, dann überlegte ich vielleicht, wie es wäre … Den letzten Kick, den Tod als  so etwas wie den endgültigen, den ultimativen Orgasmus erleben, von dem wahrscheinlich alle zumindest mal geträumt haben. Dann wird sich vielleicht alles darum drehen, wie ich es tun werde, und auch dieses »Wie« wird neue Modehypes hervorbringen und eigene Industrien begründen …

Für mich altmodischen, alten Knacker ist es aber wohl so, dass das alles nach mir kommen wird. Und das finde ich gut so. Womöglich muss ich mich ja in der nächsten Form mit solchen Fragen auseinandersetzen! Vielleicht wird mich dann die Erleuchtung packen, dass ein Leben ohne Tod kein Leben ist. Ich bitte darum.

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