Dienstag, 14. Juni 2016

Eine tragische Person

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Eine tragische Person

Kurz nach zwei Uhr morgens ging Omar Mateen ins »Pulse« in Orlando/Florida und fing an zu schießen. Als er selbst Stunden später, nach einer Aktion eines Spezialkommandos, von Polizeikugeln niedergestreckt wurde, waren außer ihm 49 meist junge Männer und Frauen tot und 53 zum Teil schwer verletzt. Fünf der Verletzten befinden sich noch in kritischem Zustand.

Es stellt sich nun heraus, dass er offenbar oft im »Pulse« war und zudem eine schwule Dating-App auf seinem Telefon hatte. Mehrere Gäste wollen ihn wiedererkannt haben. Sie erzählen, sie hätten ihn oft alleine an einem Tisch in einer Ecke sitzen sehen. Manchmal hätte er andere Männer anzumachen versucht. Ob erfolgreich, wird nicht berichtet.

Mehrmals hätte er sich aber betrunken, so sehr, dass er anfing herumzubrüllen und Streit zu suchen. Welcher Kampf tobte da in seinem Inneren? In ihm, dem Sohn afghanischer Einwanderer, zwischen seiner Sehnsucht nach innerer Heimat und den Vorstellungen, wie er als Mann und guter Muslim zu sein habe? Zwischen zwei Polen, zwei »Heimaten«? Eine Heimat könnte sein religiöser Glaube gewesen sein. Die andere seine Sehnsucht nach einem Mann, nach einem Freund, nach seinem körperlichen Ebenbild. Nach Geborgenheit, Sinnlichkeit, gutem Sex. Nach Erfüllung.

So wie die Dinge stehen, sind das zwei Welten, die miteinander unvereinbar sind. Ein innerer Kampf, eine unaussprechliche Verzweiflung muss ihn gequält haben: Gewinnst du eine Heimat, verlierst du die andere. Wie dieses Dilemma lösen? Zudem in einer Zeit, die sich zwar als offen geriert, es in Wirklichkeit aber nur selten ist?

Wir erleben hier eine persönliche Tragödie, die mindestens fünfzig Menschen das Leben kostete und bei vielen anderen wahrscheinlich bleibende körperliche wie seelische Schäden hinterlassen wird. Und es ist eine gesellschaftliche Tragödie – denn ein Bild vom Menschen, vom Mann in diesem Fall, ist mitschuldig an diesem Drama. Dieses Bild hat nur bedingt etwas mit dem Islam oder dem arabischen Kulturkreis zu tun. Vielmehr sind es fixe Ideen, die sich in vielen Köpfen, auch in meinem, wiederfinden.

Dort, wo sich das Streben nach Eindeutigkeit und Zugehörigkeit mit Verzweiflung mischt, wird es früher oder später zur Explosion kommen. Manche bringen sich um. Andere werfen ihren Selbsthass nach außen, auf Andere. Omar Mateen hat offenbar diesen Weg gewählt. Vielleicht hätte es ihn und all die anderen retten können, wäre er auch nur einmal wirklich gesehen worden.

 

Nachtrag 15.6.16: Womöglich kommt eine weitere Dimension hinzu: Wusste Omar Mateens letzte Ehefrau von seinen Attentatsplänen? Hat sie ihn womöglich sogar irgendwie darin unterstützt? Auf welche Weise führte er ein Doppelleben? Wollte er mit dem Attentat für sich »einen Schlussstrich ziehen«? Fragen, Fragen.

 

Nachtrag 6.9.16: In Deutschland gibt es ein Projekt der Uni Gießen, »Target« genannt, von dem ich heute gelesen habe. Dort begegnet die Mutter einer jungen Referendarin, die 2009 bei dem Schul-Amoklauf in Winnenden erschossen wurde, jungen Menschen (in der Regel jungen Männern), die einen Amoklauf planten und dann daran gehindert wurden: sei es, dass sie ihre Pläne irgendwo öffentlich machten, sei es, weil sie durch einen Zufall bekannt wurden. Manchmal sind diese jungen Männer tatsächlich Opfer – von Mobbing zum Beispiel. Doch wichtiger scheint zu sein, dass sie sich als Opfer fühlen und in dem geplanten Amoklauf endlich einmal zu ihrem »Recht« kommen wollen … Gisela Mayer, die Mutter einer durch Amok Getöteten, nennt sie „Schattenkinder« …

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