Freitag, 21. März 2014
Zahlen-Spiele
Zahlen-Spiele
Gerade las ich einen Artikel zu einer Untersuchung, in der es ums Lügen ging – um die Frage, ob Kinder eher zum Lügen bereit seien, wenn Erwachsene sie vorher angelogen haben. Die Antwort ist ja – die Bereitschaft dazu hängt jedoch vom Alter ab. Jüngere Kinder, hier die drei- bis vierjährigen, lassen sich in ihrer Bereitschaft zum Lügen kaum vom schlechten Vorbild Erwachsener beeinflussen, bei fünf- bis siebenjährigen ist das anders. Werden sie angelogen, steigt ihre Bereitschaft selbst zu lügen signifikant.
So weit, so gut. Die Ergebnisse dazu wurden in Zahlen gegossen und sind somit wissenschaftlich verwertbar, quantifizierbar, ja maschinenkompatibel. In dem Artikel wird jedoch erwähnt, dass man die Kinder nicht danach gefragt habe, warum sie so reagierten, und, so vermute ich, wohl auch nicht mit ihnen dadrüber gesprochen, wozu dieser Versuch gedient hat. Warum eigentlich nicht?
Nun ja, diese zusätzlichen Versuchsergebnisse wären nicht quantifizierbar gewesen, hätten aber einen ganz eigenen Wert dargestellt, der auf eine Art sogar wertvoller gewesen wäre als das rein zahlenmäßig erfassbare wissenschaftliche Ergebnis. Will heißen, die Forscherinnen, die diese Versuchsreihe mit den Kindern durchführten hätten darüber hinaus etwas über die Motivation, die Gefühle und Gedanken der Kinder gelernt. Beim Gespräch über den Versuch hätten die Kinder etwas über sich selbst lernen können und möglicherweise ein Gefühl für etwas bekommen, das weit über sie selbst, über ihre eigene Person hinausweist – nämlich dass sie Teil einer Forschung sind, die etwas über uns selbst als Menschen, über Eigenheiten und Reaktionen der menschlichen Art herausfinden will. Mich zumindest hätte das als Kind mit einer gewissen Ehrfurcht, vielleicht einem leisen Stolz und einem Wir-Gefühl erfüllt, wenn auch natürlich alles auf einer kindlichen Ebene.
Warum wurde diese Chance vertan? Meine Vermutung ist: Diese Dinge sind nicht quantifizierbar, fallen aus dem Schema üblicher Forschung heraus – wären somit nur so etwas wie »Beifang« und gehörten zudem nicht zum »wissenschaftlichen Auftrag«. Welches Selbstverständnis von Wissenschaft, ja von uns selbst steht dahinter? Für mich offenbart sich hier ein Bild von der Realität, das sehr einseitig und beschränkt ist. Im Namen der Aufklärung wird hier etwas geopfert, das aus meiner Sicht mindestens ebenso wichtig ist wie unsere wissenschaftliche Weltsicht, ja das neben dieser die andere Hemisphäre des Wissens darstellt. Ich war trotzdem ein wenig überrascht, diese Haltung unmittelbar darauf auch gleich in einem anderen Artikel wiederzufinden, zum Beispiel hier.
In diese Sicht der Dinge gehört auch die ewige Klage der etablierten westlichen Medizin, dass Homöopathie nicht besser wirke als Placebos. Dies ist jedoch auch bei vielen »anerkannten« Medikamenten der Fall. Für mich geht es nicht darum, die Schulmedizin pauschal zu verteufeln, sondern die Frage zu stellen: Warum wird verdammt noch mal die Wirkung des Placebo-Effekts nicht gründlich erforscht und positiv genutzt? Diese Frage drängt sich mir immer wieder auf, wenn ich etwas höre wie »Ja, es hat geholfen, doch das war nur der Placebo-Effekt!« Nur das, was quantifizier- und damit kontrollierbar ist wird gemeinhin anerkannt. Alles andere wird gerne als irrelevant abgetan. Bei allem Respekt vor den Leistungen der aufgeklärten Moderne – diese Haltung finde ich ignorant.
Nachtrag 5.3.15: Offenbar gibt es eine große Angst der etablierten Wissenschaftler, in die »Esoterik-Ecke« gestellt zu werden. Ich kann das sogar verstehen, denn ich bekomme immer mal wieder mit, welche pseudowissenschaftlichen Traktate gerade in der spirituellen Szene die Runde machen. Sicher ist an Allem etwas dran, doch diese Absolutheit, mit der auch hier argumentiert wird schreckt mich regelmäßig ab. Gerade las ich einen Artikel bei »Spiegel Online Wissenschaft«, in dem es darum ging, ob denn nun der Mond einen Einfluss auf unseren Schlaf hat oder nicht. Mit großem Erstaunen musste ich zur Kenntnis nehmen, dass offenbar alle, die sich mit diesem Thema beschäftigen es riskieren, sich zu blamieren, ja womöglich ihren Ruf als Wissenschaftler zu ruinieren. Wie viele solcher Tabus gibt es in der Forschung noch, und welche Folgen hat das? Ich will die Frage zumindest mal gestellt haben.