Warum diese Seite?

 

Warum diese Seite? Noch ein Blog im Internet, noch ein Tropfen im Meer. Und was soll diese seltsame Überschrift? Und wieso ist das Menü rechts statt links? Neulich bekam ich dazu ein Feedback, wie sehr das irritieren würde. Wenn etwas so Banales nennenswerte Irritation auslösen kann, überlege ich mir, das vielleicht weiterhin so zu lassen.

Sie wussten es offenbar schon immer – bestimmte Lehrer an der Schule, meine Eltern (erst spät gingen sie dazu mehr auf Abstand) oder vor etlichen Jahren eine Beraterin des Jobcenters, die es für alle auf den Punkt brachte, als sie mir sagte: »Sie können nichts richtig! Sie haben keine Chance.« Schlechte Karten in einer Zeit, in der jeder alles kann, alles checkt, alles ist – oder war das womöglich eine Art krudes Kompliment? Und schon als junger Mann von gerade mal zwanzig Jahren hatte ich eine Weile den Spitznamen »Der Kaputte«. Das »sah« man mir halt damals offenbar schon an.

Die weitaus meisten meiner Altersgenossen haben Familien gegründet. Ihre inzwischen erwachsenen Kinder schicken sich gerade an, die neue Elite des Landes zu werden und beglücken ihre Eltern mit Enkeln (vor allem in Berlin-Prenzlauer Berg). Viele haben zudem Geschäfte und Firmen gegründet und stehen erfolgreich im Leben, als leitende Angestellte, Anwälte, Ärzte, Professoren, Politiker, Ingenieure, Künstler, und, und.

Vermögen entstanden und wurden manchmal auch durchgebracht, Ideen und Patente wurden zu Produkten. Was hat sich in den letzten drei, vier Jahrzehnten nicht alles verändert! Alle hatten einen kleineren oder größeren Anteil daran oder sind zumindest überzeugt, es sei so. Ich nicht. Habe mich so durchgewurschtelt. Ein paar Zertifikate erworben und Erfahrungen in vielen Gebieten gesammelt, anstatt meinen Platz einzunehmen. Mehr gefühlt als gehandelt. Mich oft verstrickt, immer wieder neu angefangen. Heute scheine ich einer der letzten staunenden Zuschauer zu sein.

Seit gut fünfzehn Jahren sind nun beide Eltern tot, und auch mein Onkel, der letzte danach noch lebende nahe Verwandte der Elterngeneration, ist inzwischen schon eine ganze Weile nicht mehr unter uns. In meiner eigenen Altersstufe gibt es noch meinen etwas jüngeren Bruder, zumindest von außen betrachtet wesentlich erfolgreicher als ich, und das war’s. Die Linie der Familie, die durch meine Existenz repräsentiert wird, dürfte mit mir aussterben, denn es gibt höchstwahrscheinlich keine von mir »ausgelösten« Kinder, und so wie es aussieht, werde ich auch keine mehr zeugen.

Zur Zeit bin ich weder in enger Beziehung noch allein. Zu Details möchte ich mich an dieser Stelle nicht äußern, auch um mir wichtige Menschen zu schützen. Mir reicht es im Augenblick, mich einer handvoll Menschen nahe zu fühlen, doch es bleibt eine Sehnsucht. Ob die in diesem Leben zumindest ansatzweise erfüllt werden wird, steht in den Sternen. Ich weiß inzwischen nicht einmal mehr ob das, nach was ich mich sehne, überhaupt existiert …

Natürlich habe auch ich ein Smartphone und einen Computer, doch für den Augenblick wichtig sind für mich diejenigen, mit denen ich tatsächlich oder zumindest potentiell »anfassbar« zu tun habe – egal ob im Alltag oder wenn wir uns näher kommen.

Nun, mit gut Mitte sechzig, stehe ich an einem wichtigen Punkt in meinem Leben: Kann ich mich ankommen lassen? Oder sehe ich mich nach wie vor ausschließlich als ein verdorrter Busch? Irgend etwas in mir ruft mich immer mehr mit leisem, liebevollem Nachdruck zur Ernte. Wie könnte die aussehen? Werde ich den Mut haben, dem Ruf zu folgen? Und wie könnte es aussehen, diese Ernte zu teilen? Vor Allem heute, jetzt, wo fast Alle »jemand sind« und das, was ich da spüre, immer wertloser, ja völlig irrelevant zu werden scheint? Und wo darüber hinaus seit Frühjahr 2020 ein perfider, sehr gezielter Krieg genau dagegen geführt wird, den fast alle »mitmachen« – aber auf der falschen Seite?

Oder sehe ich mich weiterhin nur als das, was man gemeinhin einen »Versager« nennt – als eine Ansammlung von Mankos? Doch die Frage, ob dieses Selbst- und Fremdbild »stimmt«, wird für mich seit einiger Zeit mehr und mehr irrelevant. Mein »Kopf« weiß es nicht, wird es wahrscheinlich nie wissen, und gleichzeitig gibt es da eine sanfte, verschmitzt-liebevolle Stimme in mir, die flüstert: Das ist völlig egal.

Denn ich fühle eine tiefe Dankbarkeit und Freude in mir, die weiter zunimmt. Eine Dankbarkeit dem Leben gegenüber, ein wachsendes Verstehen und Vertrauen, Mitfühlen, ja Rausch. Ein nüchterner Freudenrausch: einer Verbindung, die über mich als Person hinausreicht. Denn ich bin »zu kaputt, um tot zu sein«.

Immer öfter bin ich gerne mit mir alleine, genieße mein Da-Sein, einfach so. Dosiere sehr bewusst Ablenkungen wie Fernsehen oder Internet. Inzwischen kann ich sagen, dass mir das Genießen bei allen Abstürzen und Neuanfängen überhaupt erst ermöglicht hat, diese Zeilen zu schreiben. Etliche Male hatte »ich« nämlich so etwas wie Schutzengel, die manchmal sogar in menschlicher Gestalt auftraten, sonst gäbe es ganz sicher schon jetzt ein Grab mit einem Gegenstand darauf, auf dem mein Name steht. Ich bin Überlebender, das begreife ich mehr und mehr. Beginne alleine das schon als einen Wert zu erkennen. Begreife, dass ich seit meiner Geburt überleben konnte und beginne dankbar immer mehr wertzuschätzen, wie viel an Reichtum ich daraus bekommen habe. Verstehe zunehmend meine eigenen Überlebensstrategien und schaue nun bewusster, wie sie mir damals als Kind geholfen haben und ab welchem Punkt ich mir heute vielleicht damit schade, damit selbst im Weg stehe. Oder auch, wie sehr sie mich zumindest indirekt unterstützt haben. Finde dabei neue Balancen und Synthesen – wacher, spielerischer, lustvoller. Gönne mir, immer mehr, etwas zu wollen und zu wünschen. Stehe zu meiner Sehnsucht, möchte jetzt endlich herausfinden, wohin sie mich führen will. Gewinne ein Bewusstsein über meinen inneren Garten. Wer mähr (der Vertipper bleibt drin!) darüber wissen möchte – Näheres dazu hier.

Schon früher war ich eher alleine, manchmal auch einsam. Das hängt mit der Geschichte zusammen, die mit mir zum Ausdruck kam, die mich jedoch immer weniger als meine eigene verfolgt. Ich beginne sie zu transzendieren. Mein mit mir Hadern und mich Verurteilen weicht immer mehr einem Annehmen, Akzeptieren, Ja sagen, ja sehr dankbar Sein: Ja, ich bin tief verwundet, auf eine Weise sogar verkrüppelt – innerlich zumindest. Und gleichzeitig ist das mein Weg, mein Leben. Es hat aus mir gemacht, was ich bin. Es ist an der Zeit, das anzuerkennen und die Schätze einzusammeln, die mir gerade daraus und gerade deswegen zugewachsen sind. Es ist die Ahnung einer Schönheit, die genau daraus erwächst und die mich die Schönheit der Welt sehen lässt – immer mehr, je weiter ich mich öffne und ja sage: zu mir, zu meinem Leben. Zu dieser tiefen Stille in mir. Zu Gott.

Heißt das, ich bin spirituell? In meinem Freundes- und Bekanntenkreis verstehen sich die weitaus meisten so, irgendwie. Kaum eine Wohnung ohne Buddha-Figur. Bei mir steht bislang keine. Ich fühle mich unbedarft und dabei ganz profan auf der Erde stehend, empfinde mich als geradezu entsetzlich nüchtern. Entsetzlich nüchtern – verglichen mit dem, was ich so um mich herum wahrnehme. Das meine ich sehr universell: Den kollektiven Rausch, den ich um mich herumwabern sehe verstehe ich weit umfassender als das, was sich durch Substanzen verschiedener Art auslösen lässt.

Immer wieder höre ich von einem »Bewusstseinssprung« der Menschheit, einem »Quantensprung des kollektiven Bewusstseins«, der aus der Sicht der meisten spirituellen Menschen unmittelbar bevorstehe oder sogar bereits im Gange sei. Der hat, so wie ich es erlebe, jedoch längst stattgefunden, allerdings ein wenig anders als sie es sehen. Oder doch genau so: Wir sind zu Göttern aufgestiegen – hin zum Himmel, weg vom Boden. Weg von uns selbst, vom verkörperten Fühlen, von menschlichem Maß. Die alles entscheidende Frage ist jedoch, ob wir zu dem Schritt bereit sein werden, der wieder zurück zu uns und zum Boden unter unseren Füßen führt. Ob wir bereit sind, die Illusion der Allmacht gegen den Blick nach innen einzutauschen und uns dem zu stellen, was uns da begegnen wird. Diese Bereitschaft sehe ich so gut wie nirgendwo – im Gegenteil. Ich kann daran nichts ändern, doch es macht etwas mit mir, und meine trotzig-liebevolle Seite ist (noch) nicht bereit, einfach darüber hinwegzusehen und zu schweigen. Wer will, mag hinschauen, und wenn ich frech dabei helfen kann – bitte sehr.

Deshalb gibt es hier (auch) ein paar »böse«, satirisch-sarkastisch-polemische Anmerkungen zu lesen, auch weil ich es ausgesprochen haben will. Dann bin ich es nämlich auf eine Weise los. Ob mir jemand zuhört, spielt erst mal keine Rolle. Ich mache es als eine Art öffentliches persönliches Archiv, für mich. Denn Schweigen bedeutete insgeheime Zustimmung zu dem, was wir uns antun. Sollte es irgendwann ein böses Erwachen aus dem kollektiven Rausch geben, dann kann ich hier nachlesen, dass ich zumindest etwas wie »Nein!« vor mich hin gemurmelt habe.

Meine eigene und die Geschichten der Menschen um mich herum sind eng verwoben. Ich sehe eine Menge Traumata, die ich mit anderen teile – doch nur bei mir sind sie sofort sichtbar. Peinlich. Wo es doch gerade heute so wichtig ist, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne gut auszusehen! Für die weitaus meisten scheint offenbar auch klar zu sein, woher wir kommen und wohin wir zu gehen im Begriff sind. Anders gesagt: Sie wissen, wo’s lang geht. Doch wissen sie es wirklich? Es gibt in mir die Neigung, eher für Fragen als für Antworten zu brennen, unterwegs zu sein – immer noch und immer wieder. Ist das womöglich der einzige nennenswerte Unterschied zwischen mir und den Menschen um mich herum? Es sieht ganz danach aus.

Diese Domain ist nun seit über zwanzig Jahren angemeldet. Sie steht für eine Entwicklung, die bereits lange davor im Gange war, wenn auch mir viel weniger bewusst als heute. Damals, als die Idee dafür zu mir kam, ging es mir alles andere als gut. Rückblickend bin ich in dieser Zeit so gerade eben der Psychiatrie, ja auf eine Art dem Tod entkommen, und bis heute hat ein Teil von mir das Gefühl, eher ein vertrockneter Busch denn ein alter, im Saft stehender Baum zu sein. So ist der Untertitel dieser Domain, dieses Blogs durchaus (selbst-)ironisch gemeint – doch immer mehr und mehr mit einem verschmitzten Augenzwinkern zu verstehen. Dank der professionellen Unterstützung, die ich mir gegönnt habe, konnten und können sich die Dinge sortieren – oder besser: Sie können sich zunehmend selbst weiter sortieren. Ich bin mitten drin in dem Prozess.

Es gibt in mir nach wie vor leicht ambivalente Gefühle, wenn ich an diese Seite denke. Dass ich sie online gestellt habe, bedeutet sichtbar zu werden für eine Öffentlichkeit – es hat etwas davon, nackt auf eine Bühne zu steigen, vor einem potentiell riesigen Publikum. Und ich spiele kein »Instrument« und bin ein miserabler Entertainer – zumindest, wenn als Maßstab die gängigen Erwartungen an Entertainment angelegt werden. Nun ja, ich singe immerhin gerne – eines meiner Hobbys. Mir ist natürlich klar, dass wer immer hier »gelandet« ist, die Szene mit einer Bewegung der Fingerspitze sofort verlassen kann. Niemand muss irgendetwas investieren, außer vielleicht einen Nervenimpuls, der den Finger an der Maustaste erreicht: Um sich wegzuklicken, möglicherweise ja aber auch, um die nächste Seite hier anzuzeigen …

… oder vielleicht auch, um die Webseite von einem Mann anzuklicken, der das alles, was ich hier zusammenzustoppeln versuche einfach ungleich besser kann – satirischer, (selbst-)ironischer, charmanter, weiser. Alles, was es dafür braucht, sind ein paar Kenntnisse der englischen Sprache. Na denn – auf zu J.P.! Aber wie das so ist – irgendwann sehe ich jeden Guru kritischer. So auch J.P. Ich finde ihn immer noch gut, habe ihn jedoch inzwischen von dem Sockel, auf den ich ihn gestellt hatte, auf den Boden heruntergeholt. Denn ich sehe inzwischen auch, wie sich sein »woke« prima mit dem aktuellen, allgegenwärtigen Selbstoptimierungswahn ergänzt.

Und noch was. Dieses Zitat unten ist von Louise Endrich. Dieser Link ist ausnahmsweise zu Wikipedia. Sie hat sich offenbar (noch) nicht kritisch zu den »Corona-Maßnahmen« geäußert, sonst würde ihr Eintrag dort schnell anders aussehen.

Ich fand dies Zitat unten vor einiger Zeit im Internet. Sonst kenne ich noch nichts von ihr, doch ich finde, es spricht für sich selbst:

»Life will break you. Nobody can protect you from that, and living alone won’t either, for solitude will also break you with its yearning. You have to love. You have to feel. It is the reason you are here on earth. You are here to risk your heart. You are here to be swallowed up. And when it happens that you are broken, or betrayed, or left, or hurt, or death brushes near, let yourself sit by an apple tree and listen to the apples falling all around you in heaps, wasting their sweetness. Tell yourself you tasted as many as you could.«

Louise Erdrich

Anbei meine Übersetzung:

»Das Leben wird dich brechen. Niemand kann dich davor schützen, selbst alleine zu leben nicht, denn auch die Einsamkeit wird dich mit ihrer Sehnsucht brechen. Denn du musst lieben. Du musst fühlen. Das ist ja der Grund, warum du hier auf der Erde bist. Du bist hier, um dein Herz zu riskieren. Du bist hier, um verschlungen zu werden. Und wenn du dann gebrochen oder betrogen wurdest, verlassen oder verletzt, oder wenn der Tod nahe ist, dann setze dich neben einen Apfelbaum und lausche, wie dessen Äpfel haufenweise um dich her herunterfallen und ihre Süße verschwenden. Und dann sage dir, dass du so viele davon probiert hast wie du nur konntest.«

Louise Endrich