Donnerstag, 21. September 2017

»Hier schlug das Herz« – ein Nachruf

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»Hier schlug das Herz« – ein Nachruf

Seit April ist die Tengelmann-Gruppe nun verkauft. Nach viel Hickhack einigten sich die beiden Kaufinteressanten Rewe und Edeka darauf, die Berliner Kaiser’s Supermärkte Halbe-Halbe zu übernehmen.

Aus Kaiser’s wurde so Rewe oder Edeka. Jetzt gibt es nur noch vier »Große«: Edeka, inzwischen für sein aggressives Marktgebaren berüchtigt, Rewe, kaum weniger expansiv, dann die Aldi-Ketten der Albrecht-Brüder und die Schwarz-Gruppe, die die Lidl und die Kaufland-Supermärkte betreibt. Ja, eine Handvoll kleinerer Mitbewerber gibt es noch, doch diese Großen beherrschen eindeutig den Markt.

Vielleicht schwingt hier eine gute Portion Sentimentalität mit, doch ich ging gerne zu Kaiser’s einkaufen. Mir gefiel die Atmosphäre dort, alles ging ein bisschen langsamer, persönlicher zu als bei den Mitbewerbern. Mir gefiel das, doch ich weiß, dass andere das anders sahen.

Für mich hatte das einen Hauch von dem, was mir an den kleinen Einzelhandelsgeschäften meiner Kindheit gefiel: Es gab Menschen, Angestellte, die da waren, ein Gegenüber waren. Und nicht einfach nur Personen, die mehr oder weniger genervt und gestresst ihre bezahlte Zeit dort abrissen und für die ich und sie für mich nur menschliches Gewusel in einer perfekt durchorchestrierten Verkaufsmaschinerie sind.

Ich weiß, das ist hoffnungslos nostalgisch in einer Zeit, in der Effizienz, Kontrolle, Leistung und Profit alles sind. Doch ich stehe dazu, dass dieses Textchen noch subjektiver ist als das, was ich hier sonst so von mir gebe. Aber genau so empfinde ich jetzt den Laden, der mal Kaiser’s war: Die Angestellten, die ich früher als recht entspannt, locker und offen wahrnahm sind jetzt durchgehend mies drauf, rennen alle gestresst herum – mit einer Funkverbindung im Ohr, egal was sie gerade tun.

Alles ist nun in gleißend helles LED-Licht gehüllt, und der Supermarkt hat ein stark erweitertes Sortiment. Die Muzak-Anlage ist immer perfekt eingepegelt; ich muss schon drauf achten, um das Gedudel zu hören. Kurzum – eine perfekte Verkaufsmaschine ist entstanden, in der die Angestellten im Grunde nur noch organische Servomechanismen sind – entbehrlich, sobald Roboter ihre Aufgaben übernehmen können.

»Hier schlug das Herz«, in Anlehnung an den Werbespruch der Berliner Kaiser’s-Filialen. Das war einmal. Ein Nachruf auf ein weiteres kleines Stück einer Welt, die unwiederbringlich verloren ist.

Nachtrag 10.1.18: Sascha Lobo hat sich in seiner heutigen Kolumne auf »Spiegel Online« über die gerade aufkommende Sprachsteuerung für viele Dinge im Alltag Gedanken gemacht. Wie sehr sich das durchzusetzen beginnt, kann ich aus eigener Beobachtung im Freundes- und Bekanntenkreis bestätigen. Ich stimme auch mit ihm überein, dass sich hier in Verbindung mit »künstlicher Intelligenz« eine neue technische Revolution ankündigt, die Vieles hinwegfegen wird, was uns heute noch als sicher und selbstverständlich erscheint.

Nachtrag 21.3.18: Vielleicht mag das in diesem Zusammenhang etwas weit hergeholt erscheinen – doch ich sehe zumindest einen: Diesen kleinen Tod eines Stückchens Welt, den ich oben beschreibe, nehme ich mal zum Anlass für einen Verweis auf einen Artikel von John Zerzan, der schon 2002 erschienen ist (auf Englisch, langer Text). Der Siegeszug des Symbolischen, Unsinnlichen (welch schöne Doppelbedeutung im Deutschen!), Abgetrennten setzt sich fort, immer schneller, immer radikaler. Und die weitaus meisten meiner Zeitgenossen halten das für (einen) Fortschritt …

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