Montag, 22. August 2016

Menetekel?

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Menetekel?

»Als Menetekel bezeichnet man eine unheilverkündende Warnung …«, ist auf Wikipedia zu dem Begriff zu lesen.

Was bedeutet es, dass in jüngster Zeit einige Staaten die Regeln der Genfer Konvention, die immerhin ein Minimum an Menschlichkeit in kriegerischen Auseinandersetzungen garantieren soll, offenbar aufgekündigt haben? Es werden inzwischen in Syrien, im Jemen und anderswo gezielt Krankenhäuser angegriffen und zerstört, etwas, das nach den Regeln der Genfer Konvention ausgeschlossen ist.

Es steckt ein Kalkül dahinter, ein Kalkül, das sich auch über letzte Reste von Respekt für den Gegner hinwegsetzt: Ist die medizinische Versorgung weitgehend zerstört, bricht das als ultimative Terrormaßnahme den Widerstand des Gegners nachhaltig.

Dass diese Vorgehensweise inzwischen immer selbstverständlicher wird, macht mir Angst. Krieg ist an sich schon schlimm genug, doch wenn auch letzte Reste von Fairness einem kalten Machtkalkül geopfert werden – wo soll das hinführen?

Nachtrag 20.9.16: Musste heute erfahren, dass in Syrien ein Hilfskonvoi der UNO und des Roten Halbmondes angegriffen und teilweise zerstört worden ist, obwohl zuvor ein Waffenstillstand vereinbart wurde und alle Konfliktparteien über die Hilfslieferungen informiert waren. Von wem der Angriff kam, ist noch nicht klar. Es spielt aber auch letztlich keine Rolle – die Menschenverachtung, dieses Kalkül ultimativer Macht, die dahinter steht, macht mir Angst. Wohl gemerkt, nicht die Handlung als Solche, so schlimm wie sie sein mag. Sondern die Haltung, die sich in ihr ausdrückt …

Nachtrag 21.9.16: Leider schon wieder eine Nachricht der gleichen Art …

Nachtrag 25.9.16: Die kurze Waffenruhe vor einigen Tagen wurde anscheinend nur dazu genutzt, die nächste Eskalationsstufe vorzubereiten. Dieser Konflikt rollt quasi vor den Augen der Weltöffentlichkeit ab, mit einer kalten Gnadenlosigkeit, die mich frösteln macht. Das ist schieres Machtkalkül, von allen Seiten. Auf der Strecke bleiben letzte Reste von Menschlichkeit, von Respekt für den Gegner. Sollte dieser Konflikt das Modell eines zukünftigen Umgangs mit kriegerischen Auseinandersetzungen sein … Nein, ich weigere mich, diesen Gedanken zu Ende zu denken.

Nachtrag 1.10.16: Das Besondere an diesen Kriegsverbrechen ist weniger, dass sie geschehen, sondern dass sie quasi vor den Augen der Weltöffentlichkeit geschehen. Das ist für mich das eigentliche Menetekel. Srebrenica praktisch als Dauerzustand. Auch auf der »großen Bühne« der Weltpolitik ist es längst salonfähig, in aller Öffentlichkeit Regeln, die lange und mühsam erkämpft worden sind mal so eben beiseite zu wischen. Was für ein Vorbild! Und die schlechten Nachrichten aus Syrien bleiben …

… leider, wie hier nachzulesen ist. Nach einer Phase relativer Ruhe und zarter Hoffnung meldet das Rote Kreuz zur Zeit (5.10.17) die schwersten Kämpfe seit Jahresbeginn. Und es werden wieder gezielt Krankenhäuser zerstört …

Nachtrag 28.10.17: Gerade las ich bei Spiegel Online, dass die von Russland initiierte Expertenkommission, die den Giftgasangriff im April dieses Jahres in Syrien untersuchen sollte, zu einem Ergebnis gekommen ist, das Russland nicht passt: Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit war das Assad-Regime für den Abwurf der Giftgasbombe verantwortlich. Doch dieser Verstoß gegen das Kriegsrecht der Vereinten Nationen wird ungesühnt bleiben, und wie die Kommission befürchtet, deshalb Nachahmer nicht nur in Syrien finden …

Nachtrag 7.12.17: Noch ein Bericht, der mich sehr nachdenklich macht: Eben las ich im Guardian, dass im Syrien-Konflikt eine ungewöhnlich große Zahl Kinder und Jugendlicher getötet worden sei. Auch dies passt ins Bild, leider.

Nachtrag 20.2.18: Wieder eine Meldung zum Thema beim Guardian. Wo kommen wir hin, wenn selbst elementare humanitäre Regeln, ein Errungenschaft des 20. Jahrhunderts(?), laufend gebrochen werden?

Nachtrag 22.2.18: Eben las ich einen Artikel über den Jahresbericht von Amnesty International, in dem eine weltweit schlechter werdende Situation für Menschenrechte beklagt wird. Es sei eine Entwicklung im Gang, bei der durch staatliche Akteure Hass und Gewalt gegen Minderheiten geschürt und legitimiert werde und die zu einem besorgniserregenden Trend geworden sei, weltweit. Und ja, natürlich, es gibt auch eine Reihe positiver Entwicklungen. Aus meiner Sicht laufen Dinge selten linear und homogen ab. Vieles geschieht gleichzeitig. Für mich ist wichtig: Wohin geht es generell? Doch das, was ich im Alltag sehe und erlebe bereitet mir mehr Sorgen als das, was mehr oder weniger abstrakt in den Nachrichten kommt.

Nachtrag 27.3.18: Aus meiner Sicht ist die Deklaration der Menschenrechte ein ungeheurer zivilisatorischer Fortschritt gewesen. Eben las ich beim Guardian, dass China und Russland bei der UN »hintenrum« gegen die Einhaltung der Menschenrechte arbeiten, indem sie die Mittel für deren Überwachung zusammenstreichen lassen. Sie stehen damit nicht alleine, leider. Sie sind nur die größten und mächtigsten Befürworter und Lobbyisten dieses Vorgehens.

Nachtrag 3.8.19: Auch wenn Syrien inzwischen aus den Schlagzeilen verschwunden ist – das Sterben dort geht weiter. Alleine deswegen sind aus meiner Sicht alle Gedanken obszön, Flüchtlinge von dort zum jetzigen Zeitpunkt in ihre Heimat zurückzunötigen. Wie immer in Kriegen trifft es die schwächsten und Unschuldigsten doppelt: Die Kinder. Dieser Artikel beim Guardian beleuchtet einen stillen Skandal: Im vergangenen Monat sind in den von den Rebellen gehaltenen Gebieten mehr Kinder durch Kriegshandlungen gestorben als im gesamten Jahr 2018. Und kein Schwein interessiert es.

Heute (24.10.19) gelesen – ein Kommentar über die »neuen Regeln« im Syrien-Krieg (und sicher nicht nur dort) bei »Spiegel Online«. »Get ready for the future – it is murder«, sang Leonard Cohen schon in seinem vor über zwanzig Jahren erschienenen Album »The Future«. Wie passend: Über dem Artikel wirbt BMW für ein grau-geducktes, teures Vehikel des Stärkeren …

Es passiert wieder. Vor unseren Augen. Business as usual. Aber was für ein Quatsch – wir leben doch in der besten aller Zeiten, sagen die Berufsoptimisten. Das mag aus einem bestimmten, sehr selektiven Blickwinkel gesehen sogar stimmen. Doch eben nur aus diesem Blickwinkel. Denn die Ansprüche, die da mitschwingen und auf die wir uns kollektiv so viel einbilden, werden nur im Ausnahmefall wirklich eingelöst, im Großen wie im Kleinen. Heute (28.2.20) musste ich etwas lesen, das mich mit der Nase darauf stößt. Während sich hier Anzeichen mehren, dass es zu einer Art öffentlicher Panik in Zeitlupe kommt, wegen einer Krankheit, die nach bisherigen Erkenntnissen nur in etwa so viele Erkrankte und Tote fordert wie eine ordentliche Grippewelle, bahnt sich in Syrien eine gigantische humanitäre Katastrophe mit Ansage an, womöglich sogar noch mehr. Hitler war zwar der herausragende Bösewicht des 20. Jahrhunderts, doch eben nur der Star der Stars. Der erste unter Gleichen gewissermaßen. Aus meiner Sicht lenkt es ab, immer nur ihn als das personifizierte Böse zu sehen. Ohne das leugnen zu wollen, für was er steht – doch er verkörpert nur im Extrem einen Zustand unseres menschlichen Bewusstseins, der sich rund um den Globus bei der überwältigenden Mehrheit wiederfindet. Solange wir das nicht begreifen (wollen), wird »es« wieder geschehen – wie und wo in der Welt auch immer.

4.7.20 – Es wird immer offensichtlicher: Wir befinden uns mitten in einem Propagandakrieg, und das nicht erst seit »Corona«. Eben las ich in einem Artikel über den Syrien-Krieg, dass die Jihadisten, die auf Umwegen von den USA (auch) mit Waffen unterstützt wurden, gleich zu Anfang, also schon 2011, auf die syrische Polizei geschossen hätten. Motto: »Die Christen nach Beirut, die Alewiten ins Grab!« Daraufhin sei das Ganze schnell völlig eskaliert. Sollte das stimmen, ist das eine neue Facette im Bild um diesen Konflikt mit vielen Fronten und vielen Fragen. Was passierte, und passiert, dort wirklich? Wer sind die Hauptakteure? Wie ist der Konflikt eskaliert? Fragen, Fragen. Ich bin der mit den dummen Fragen, wie immer.

4.8.20 – Stichwort Propaganda: Eben las ich einen im Wesentlichen durchaus glaubwürdigen Artikel, der viele Ereignisse dort noch mal in einen historischen Zusammenhang stellt. Das ist äußerst interessant und zeigt, wie extrem verzerrt und teilweise frei erfunden hier über die Ereignisse dort berichtet wird. Was von den Gräuelgeschichten dort stimmt? Was stimmt nicht bzw. ergibt zusammen mit dem vollen Kontext ein völlig anderes Bild? Welche Rolle spielen dabei auch scheinbar seriöse NGOs wie Amnesty International? Fragen, Fragen. Doch ich finde es wichtig, mir die zu stellen, mich immer wieder auch verunsichern zu lassen. Das Bild bekommt ständig neue und andere Facetten und erweitert sich.

20.3.21 – Eben las ich einen guten Überblick über den Syrien-Krieg – ähnlich wie in meinen Nachträgen oben eine Entlarvung von Lügen, Halb-, Viertel- und Achtelwahrheiten über Syrien. Auch wurde mir beim Lesen erneut klar: Selbst wenn das in dem Artikel nur überwiegend stimmt, und davon gehe ich aus, dann bin auch ich auf die Propaganda und die Verdrehungen der Berichterstattung über Syrien reingefallen – siehe oben. Ich nehme es als Warnung.

25.3.24 – Inzwischen bin ich noch skeptischer geworden. Früher habe ich ja vieles geglaubt – siehe meinen originalen Text ganz oben. Das betraf auch den Jugoslawien-Krieg, wobei mir schon damals der Begriff »Balkanisierung« als Wort dafür kam, Spaltungen zu schüren und Bevölkerungsgrupen gegeneinander aufzuhetzen, bis zu Mord und Totschlag. Nur – das ist mit Sicherheit nur ein Aspekt des Geschehens, wenn auch ein sehr wichtiger. Aus meiner Sicht hat das das soziale Klima auch hier in Deutschland in einer Weise vergiftet, als das Recht des Stärkeren auf einmal wieder »salonfähig« wurde, und heute ist etwas wie Fairness so fremdartig wie Gepflogenheiten aus dem alten China. Eben las ich eine interessante Zusammenfassung der Ereignisse von Frühjahr 1999, als Deutschland ganz vorne mit dabei war, Serbien zu bombardieren. Damals glaubte ich die Propagandageschichten von den »bösen Serben, die das verdient hätten«. Nun, es gibt keine Engel unter dieser Sonne, doch auch niemand hat Grausamkeit »verdient« …

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