Mittwoch, 23. September 2015

100 Jahre

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100 Jahre

Vor ziemlich genau 100 Jahren kam die »Leica« von Leitz Wetzlar auf den Markt – eine kleine, handliche und unauffällige Taschenkamera mit versenkbarem Objektiv, die 35 mm-Film verwendete. Sie ermöglichte es, Aufnahmen in professioneller Qualität fast überall zu machen – zunächst in Schwarzweiß, mit dem Aufkommen von Farbfilm ab der Mitte der dreißiger Jahre dann auch in Farbe.

Sie war, wenn man der Beschreibung der Ausstellung »Augen auf – 100 Jahre Leica-Fotografie« (noch bis 1.11.15) glauben darf, eine Revolution in der Art, wie fotografiert werden konnte; sie bot Möglichkeiten, die so vorher nicht verfügbar waren.

Die Ausstellung im »Amerika-Haus« in der Nähe des Zoologischen Gartens in Berlin zeigt eine Fülle von Fotos, von denen viele schon in Zeitschriften, Magazinen und Bildbänden zu sehen waren. Darüber hinaus gibt es eine Menge Informationen zur Geschichte der Entstehung als auch der technischen Hintergründe der Leica und ihrer verschiedenen Modelle bis hin zur heutigen digitalen Version.

Hochinteressant fand ich, wie mit den Fotos auch eine Geschichte unserer Rezeption von Bildern zu sehen ist. Damals luden Bilder eher zum ruhigen Betrachten ein, zum wirken Lassen, einsinken Lassen. Seit einigen Jahrzehnten geht der Trend jedoch immer mehr hin zum Spektakulären, sofort Offensichtlichen – weg von der leisen Tiefe hin zum Lauten, Oberflächlichen.

Staunend stand ich vor den Aufnahmen und schaute, manchmal für Minuten. Ist es so, dass ich da durch ein Schlüsselloch in eine andere Zeit blicken konnte, auf einen kleinen, flüchtigen Moment des Lebens? Der Blick eines Fotografen, eingefangen durch den Sucher seiner Kamera, festgehalten auf Film? Ja, ich denke, das macht die Faszination dieser Bilder für mich aus. Über den Fotografen vermittelt blicke ich auf etwas, das ist – in diesem einen, winzigen Moment. Und doch erzählt sich hier eine komplexe Geschichte, wenn ich mich darauf einlasse.

Schaue ich mir jüngere Aufnahmen an, dann habe ich oft den Eindruck, etwas solle »dargestellt« werden, so »wie es sein soll«: so, wie ich es insgeheim als Betrachter erwarte. Etwas wird hier bedient – eine (Seh-)Gewohnheit, eine Erwartung, eine Art (Selbst-)Bestätigung, aber natürlich auch eine Sensations- und Schaulust. Gegen Letztere ist erst mal wenig einzuwenden, denn selbstverständlich empfinde auch ich diese Lust. Doch ich vermisse eben ganz oft diese »andere Seite«, die ich erwähnte. Nur noch selten treffe ich sie an. Sie ist offenbar unzeitgemäß geworden, ja anachronistisch.

Was hat sich da in den vergangenen Jahrzehnten verschoben, und in welche Richtung? Was ist verloren gegangen, und wohin ist es verschwunden?

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