Donnerstag, 19. März 2015

Schade um den Streifenwagen

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Schade um den Streifenwagen

»Menschen sterben und ihr schweigt, Scheiben klirren und ihr schreit!« An diesen Spruch, an dieses Graffito kann ich mich noch erinnern – als es auf Wänden zu lesen war und nicht nur in Büchern des historischen Rückblicks.

Gilt das heute auch noch? Wir leben doch in aufgeklärten, (neo)liberalen Zeiten. Es sind mal wieder Demonstranten auf der Straße, in Frankfurt am Main, meiner alten Heimat. Der Stadt der Banken und des Geschäfts. Die da, die da werfen Steine, zünden Mülltonnen, gar einen Streifenwagen an. Alle sind entsetzt. So viel Gewalt! Diese …!

In Griechenland sterben Menschen, rutschen viele in Armut ab. Sparen! Sparen! Wo kämen wir denn hin, wenn sich alle da unten einfach auf unsere Kosten die Eier schaukeln würden! Ja, natürlich gibt es da eine Mitschuld an der Pleite seitens der griechischen Behörden, vielleicht sogar auch eine der kleinen Bürger. Doch ein ganzes Land ins Elend stürzen, in einem angeblich geeinten Europa, nur um ein paar Dogmen durchzusetzen, die in allererster Linie den Banken und den wirtschaftlich Starken zugute kommen? Wo bleibt unser Anstand? Unsere Solidarität?

Jakob Augstein hat einen bissigen Artikel darüber geschrieben. Er schließt seine Überlegungen mit der traurigen Frage, die für mich alles auf den Punkt bringt: »Was ist mehr wert: Das Leben eines griechischen Rentners? Oder ein deutscher Streifenwagen?« Für die meisten ist die Antwort offenbar klar. Ich schäme mich.

 

Nachtrag 20.3.15: Obwohl ich »Spiegel« und »Spiegel Online« inzwischen ungleich skeptischer gegenüberstehe als früher, will ich doch noch auf zwei Artikel dort hinweisen, deren Autoren eine ähnliche Haltung vertreten wie die, die ich in meinem Artikelchen zum Ausdruck gebracht habe. Da ist zum Einen ein Kommentar von Georg Diez und dann noch ein weiterer von Slavoj Zizek, auf die ich gerne verweisen möchte.

Nachtrag 26.3.15: Jakob Augstein hat einen offenen Brief an die Kanzlerin verfasst, in dem er sie auffordert, mit der Europäischen Einigung fortzufahren anstatt sie zu zerstören. So ganz nebenbei wird darin auch mit dem Mythos aufgeräumt, die Griechen seien »faul« – ein Vorwurf, der vor allem von Seiten eines Volkes kommt, das vor nicht allzu langer Zeit Menschen in industriellem Maßstab vernichtete, unter den Mottos »Arbeit macht frei« und »Vernichtung durch Arbeit« …

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