Gesundheit!

Gesundheit!

Vor Kurzem las ich über die veränderten Benimmregeln in Bezug auf das Niesen. Im »Knigge« werde heute darauf hingewiesen, dass es nicht mehr zeitgemäß sei, jemandem »Gesundheit!« zu wünschen, der niesen musste. Nein, heute werde eher vom Niesenden erwartet, dass er oder sie »Entschuldigung!« sagt. Nun, wenn ich den anderen erschreckt haben sollte oder in einem intensiven Zwiegespräch war, dann kann ich das ja noch verstehen. Doch ich glaube zu spüren, dass sich noch mehr geändert hat.

In diesem Artikel der »Welt« geht es um die neuen Regeln. Dort wird erwähnt, dass das »Gesundheit« historisch gar nicht dem Niesenden, sondern dem das Wort Aussprechenden gegolten habe; eine sehr egoistische Haltung also. Komisch – ich habe das immer so verstanden, demjenigen der geniest hat Gesundheit zu wünschen. Hatte vorausgesetzt, dass andere das genauso sehen. Vielleicht bin ich hier ja völlig auf dem falschen Dampfer …

In dem Artikel wird auch erwähnt, »Gesundheit« zu sagen würde auf eine Schwäche des anderen hindeuten. Es mache »deutlich, dass der Andere nicht fit ist«. Na ja, kann man so sehen. Doch was ist so schlimm daran? Was ist so furchtbar daran, mal nicht »fit« zu sein? Das kann uns doch alle mal treffen, oder etwa nicht? Aber die Leute, die stark, effektiv, schnell sind, die trifft es doch bestimmt nicht, oder?

Nun, man kann sich sicher darüber streiten, doch für mich lugt hier der neue, neoliberale Geist ganz unverblümt um die Ecke. Totale Konkurrenz auf dem »Markt« des Lebens ist angesagt; nur die Schnellsten, Fittesten, Effektivsten werden es schaffen. Und die Kontrolle darüber muss auch noch die kleinsten Lebensäußerungen umfassen, keine Ausnahmen!

Der Tag wird kommen, wo uns die ungeheuerliche Provokation bewusst wird, dass es um uns her noch Lebewesen gibt, die sich dieser »Logik« entziehen. Das werden wir abzustellen wissen, da bin ich mir ausnahmsweise mal sicher.