Mittwoch, 6. Juli 2011

Ich bin pleite … doch werde mir noch heute Abend einen neuen Rolls bestellen

Ein Kommentar

Ich bin pleite … doch werde mir noch heute Abend einen neuen Rolls bestellen

… denn der Steuerzahler steht dafür gerade, und es ist mir egal.

Wenn ich heute so daherkommen würde, würden wohl alle halbwegs vernünftig denkenden Menschen an meinem Verstand zweifeln. Doch ich bin ja nur ein kleiner Bürger dieses Landes und habe keine Lobby – nirgendwo, bei niemand. Verrückt? Ja, eigentlich schon.

Gerade las ich, dass der Neubau des Berliner Stadtschlosses mit einem vorläufigen Budget von 590 Millionen Euro beschlossene Sache sei. Ich las noch mal, wollte es nicht glauben. In dieser Stadt rumpeln die Autos über schlechte Straßen, für Schwimmbäder, Schulen und eine Unzahl sozialer Projekte fehlt das Geld. Doch ein Stadtschloss muss her, für mindestens 590 Millionen Euro. Das braucht diese Stadt, unbedingt.

Das ist ein wenig so, als wenn jemand nicht weiß, womit er morgen sein Essen, geschweige denn seine Miete und die Stromrechnung bezahlen soll, und sich dann einen Riesen-Flachbildfernseher für 10.000 Euro bestellt – wohl wissend, dass er dafür keinerlei Verantwortung trägt. Niemand muss sich wundern, wenn es auch mich in den Fingern juckt, genauso mit meinen Finanzen umzugehen. Was soll’s – nach mir die Sintflut …

Und Stuttgart 21 ist ein Vorbild vom gleichen Kaliber. Ein frisch überholter Bahnhof – schön. Doch geht’s nicht auch zwei Nummern kleiner? Und dann das Geld lieber in neue Infrastruktur stecken, wie neue Züge? Nein, das geht nicht. Es ist wie ein Autobesitzer, der eigentlich dringend in neue Reifen und neue Bremsen investieren sollte, sich jedoch entschließt, das Geld stattdessen in Spoiler und eine superschicke Metallic-Lackierung zu stecken. Auf Pump selbstverständlich – zahlen dürfen das die Bahnkunden, und um drei Ecken natürlich die Allgemeinheit.

Bei solchen Vorbildern an Unvernunft und Größenwahn wundert mich nichts mehr – weder auf der Ebene von Staats- und Großunternehmen noch auf privater. Ja, ja, ich weiß – diese Dinge haben eine lange Tradition. Doch in den achtziger Jahren etwa war auch noch Geld für solche Hirnfürze da, es musste nirgendwo anders eingespart werden. Heute sieht das anders aus, und das ist für mich der eigentliche Skandal.

Also – ich werde doch noch mal eine Nacht drüber schlafen. Morgen werde ich dann zum Händler gehen. Einen Rolls-Royce habe ich mir schon lange gewünscht. Wie geil das wäre, wenn er dann vor der Tür steht! Geld für Benzin habe ich keins. Na, auch das werde ich mir pumpen. Und wenn dann die Rechnung präsentiert wird, hebe ich einfach die Hand.

Nachtrag 17.9.13: Nicht nur Deutschland baut solche Schlösser, nein, auch bei anderen Dingen sitzen die Millionen offenbar locker: Die bisherigen Kosten für die Bergung des Wracks der »Costa Concordia«, die vor über 20 Monaten vor der Küste von Giglio/Italien sank und kenterte belaufen sich bisher auf über 600 (in Worten: sechshundert) Millionen Euro. Damit ist aber keinesfalls ein Ende der Kosten erreicht. Ein paar Gedanken dazu im Nachtrag zu einem meiner Artikel hier.

Nachtrag 6.6.15: Das Schloss ist im Bau. Und inzwischen hat sich politisch einiges getan, leider in vieler Hinsicht in einer Richtung, die in mir eine ähnliche Stimmung erzeugt wie die, die mich zum Schreiben dieser Glosse trieb. Georg Diez schrieb heute in seiner Kolumne etwas zum Thema, das meine Gefühle recht gut widerspiegelt.

Nachtrag 28.2.18: Warum mache ich mir eigentlich Gedanken um meine Altersversorgung? Na ja, hin und wieder mal. Vor Kurzem gab es ein weiteres Schauspiel der oben geschilderten Art. Nee, nicht dass der Flughafen BER noch immer nicht fertig ist (die Kosten dafür auch nicht …). Nein, die HSH Nordbank, eine öffentliche Bank, eine Landesbank von Hamburg und Schleswig-Holstein, ist an englische Investoren verkauft worden – ohne die Schulden. Die trägt … tataaaa! Na, wer wohl? Der Steuerzahler! Das Geld muss jetzt in den Landeshaushalten der beiden Bundesländer eingespart werden. Ist doch genial, wa? Vielleicht sollte ich dann doch einen Kredit aufnehmen, das Geld verprassen und dann … Doch ich bin realistisch: Ich werde keinen bekommen.

Nachtrag 30.1.19: Gestern Abend (also am 29.1.19) war das Thema der »Anstalt« beim ZDF die Deutsche Bahn AG, und was sich seit der Privatisierung 1994 so alles verändert hat. Natürlich kam da auch das Thema »Stuttgart 21« auf den Tisch. Ich wusste ja schon einiges dazu und habe das auch oben beschrieben, doch das Ganze ist noch viel mehr gaga und größenwahnsinnig als ich bislang wusste. Und dazu auch ein Musterbeispiel für Vetternwirtschaft und Kungelei, die auch vor völlig Absurdem nicht zurückschreckt, solange es den eigenen Interessen dient. Wer’s nicht glaubt – auf der oben verlinkten Seite gibt’s immer auch eine Auflistung der Fakten, auf die sich die Sendung beruft.

Toll! Ist das nicht super, in einem reichen Land zu leben, das sich zwar bei den öffentlichen Investitionen in den letzten Jahrzehnten kaputtgespart hat, sich aber solche Repräsentationsbauten leistet? So was kenne ich eigentlich eher aus Ländern, die sich nicht als »Demokratie« bezeichnen lassen. Heute (14.11.19) las ich, dass die Kosten für das »Humboldt-Forum« sich noch einmal um fünfzig Millionen Euro auf jetzt gute 644 Millionen Euro erhöht haben. Da wird mal eben locker eine gute halbe Milliarde Euro verbraten, für einen Scheißhaufen des »Weiter so« im Zentrum der Stadt. Warum verschwand der Palast der Republik? Ich bin zwar Laie, was das angeht, doch ich schätze, für etwa ein Fünftel dieser Summe hätte man dort ein supertolles (außen und innen) modernes Gebäude errichten können … Das ist ein weiteres Denkmal für diejenige Mentalität, die hier wirklich das Sagen hat.

Inzwischen sind fast fünf sehr, sehr ereignisreiche, schicksalhafte Jahre vergangen. Das mit dem Schloss (und auch dem Flughafen BER) ist längst ein alter Hut – heute, am 13. Dezember 2023. Es gibt da ein Projekt, das das alles noch locker toppt: Das Dauerprojekt »Stuttgart 21« – ein Milliardengrab ohne Ende. Während ich mich für meinen Wohngeldantrag quasi für jeden Euro rechtfertigen muss, den ich einnehme, so werden hier die Milliarden (ja wirklich, inzwischen Milliarden!) einfach aus dem Fenster geschmissen. Und damit rede ich noch nicht mal von dem »Sondervermögen« (sprich: Schulden) für Aufrüstung in Höhe von 100 Milliarden Euro, das per Federstrich von unserem in mancher Hinsicht sehr vergesslichen Kanzler »abgezweigt« wurde.

Doch natürlich ist »Stuttgarrt 21« unverzichtbar, genauso wie die vielen anderen schwarzen Löcher, in denen das Geld der Steuerzahler verschwindet. Die dürfen sich derweil medial befeuert darüber ereifern, dass »solche wie ich« auch noch ein paar Euro öffentliche Förderung bekommen, um die kleine Rente aufzustocken. Denn natürlich ist klar: »Solche wie ich« sind selbstverständlich schuld daran, dass alles den Bach runtergeht – wer könnte daran nur den geringsten Zweifel haben?

»Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen«, lernte ich schon als Kind. Doch in wessen Taschen bzw. auf wessen Konten landet das ganze Geld, das da von unten nach oben umverteilt wird? Darüber zucken die allermeisten nicht mal mit den Schultern, denn bitte, bitte, bitte – nun wirklich: nichts sagen. Klappe halten. Alles nur Verschwörungstheorie!

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Ein Kommentar zu »Ich bin pleite … doch werde mir noch heute Abend einen neuen Rolls bestellen«

  1. Frei nach Martin Luther:

    „Und wenn ich wüßte, daß morgen der Gerichtsvollzieher käme, so würde ich doch heute noch einen Flachbildfernseher bestellen.“

    😛

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