Dienstag, 14. Juni 2011

Generation Maskenball

Kommentieren

Generation Maskenball

Habe gerade gelesen, dass sich ein in Schottland lebender, verheirateter US-Amerikaner und ein US-amerikanischer Ex-Air Force-Pilot als lesbische Frauen ausgegeben haben, in Bereichen, die weltweit Beachtung fanden: Ersterer gab sich als syrische lesbische Polit-Aktivistin namens Amina Abdallah Arraf aus, letzterer als die lesbische Bloggerin Paula Brooks.

Laut Spiegel Online soll ein Aufschrei durch das Internet gegangen sein, als vor einigen Tagen erst der eine, und gestern dann der andere enttarnt wurden. Viele Aktionsgruppen hatten sich gebildet, unter anderem bei Facebook, die die Aktivistinnen unterstützen wollten.

Zwar gaben beide Enttarnten hehre Motive für ihr Vorgehen an, wollten angeblich damit die Rechte von Regimekritikern und vor allem von lesbischen Frauen unterstützen. Doch nicht nur ich habe da meine Zweifel.

Um ehrlich zu sein – ich habe sehr gemischte Gefühle. Auf der einen Seite kann ich den Zorn der Leute gut verstehen, die sich veräppelt fühlen. Speziell lesbische Frauen dürften schäumen, und das zu Recht. Jetzt auch in diesem Bereich für Phantasien und Spielchen von Heteromännern herhalten zu müssen, ist ein Schlag ins Gesicht jeder Lesbe, ja jeder Frau. In allen (Hetero-)Pornos, die was auf sich halten, kommt »traditionell« mindestens eine Sequenz vor, in der sich zwei Frauen miteinander beschäftigen, bevor dann der Herr mit dem Zauberstab winkt, und dann die Frauen mehr oder weniger darum betteln, es von IHM so richtig besorgt zu bekommen.

Zum anderen bin ich ein wenig schadenfroh. Wie viele Leute haben geglaubt, es gäbe ein richtiges Leben im falschen? Im »realen« Alltag wie auch im alltäglichen Umgang im Internet einen Maskenball veranstalten, und dann ist, wenn’s drauf ankommt, natürlich alles so, wie es zu sein scheint? Kaum jemand tritt im Web mit einem Namen auf, der von seinem Klarnamen hergeleitet ist und der doch den Schutz des Einzelnen wahrt, wie zum Beispiel »Thomas6331«. Stattdessen wimmelt es von unglaublichen, oft größenwahnsinnigen Phantasienamen, wohin ich auch schaue. Über den Drang zur Maskerade im »analogen« Alltag habe ich schon an anderer Stelle geschrieben. Wie um alles in der Welt konnten so viele Leute so naiv und arglos sein?

Ich bin gespannt, wie sich dieser »Skandal« auswirken wird. Denken jetzt mehr Leute über Sein und Schein nach, werden sie bodenständiger, ehrlicher? Das fände ich toll. Wird man sich Gedanken machen, wie man die Echtheit von Personen besser überprüfen kann? Vermutlich wird das in der Praxis schwierig. Natürlich lässt sich hinter Leuten herschnüffeln und über sie recherchieren. Das hat ja letztlich auch zur Enttarnung der beiden falschen Frauen geführt. Doch dies könnte auch zu einer Welle der Schnüffelei führen, was wiederum andere unliebsame Folgen hat – ich denke da an mögliche Verleumdung und Denunziation. Auf diese Weise könnten etwa totalitäre Regimes unliebsame BloggerInnen schnell und einfach von der Bildfläche verschwinden lassen. Wer will denn zum Beispiel beweisen, dass ein Blogger aus China der ist, der er/sie vorgibt zu sein, wenn gezielt das Gerücht gestreut wird, dieses Blog sei eine Fälschung? Ist ein Blog erst mal auf diese Weise diskreditiert, wird es wohl meist schwierig, das Gegenteil zu beweisen. Und wer überprüft die Fürsprecher … ?

Bei allen Möglichkeiten des Webs – hier wird eine der Schattenseiten sichtbar. Und ich habe keine Ahnung, wie sich dieses Dilemma lösen lässt.

Im Internet spiegelt sich der allgemeine Maskenball, und es ist hier noch schwieriger als in der analogen Welt zu erahnen, wer sich hinter der Maske bzw. dem Pseudonym verbirgt. Wie immer diese Sache sich entwickeln wird – wir werden damit leben müssen, dass gerade im Internet vieles nicht das ist, was es zu sein scheint.

Dein Kommentar zu »Generation Maskenball«

Dein Kommentar