Donnerstag, 17. März 2011

Christopher Street Day

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Christopher Street Day

Mein letztes Jahr beim »Sonntags-Club« sollte auch für mich noch eine Überraschung bringen. Es war zwar nicht der erste Christopher Street Day, kurz CSD, den ich dort mitgemacht und mitorganisiert hatte, doch es ließ sich schon im Vorfeld gut an: Ein befreundeter Unternehmer stellte uns einen Tieflader zum Selbstkostenpreis, und der Ex-Zivi, ein junger Ingenieur für Veranstaltungstechnik, hatte gute Beziehungen zu einem PA-Verleih. Es sollte eine gigantische Anlage werden, versprach er,

Das Orga- und Aufbauteam traf sich früh am Morgen, um alle Aufbauten samt der riesigen Boxen und der zugehörigen Elektronik auf den Sattelschlepper zu hieven. Dazu kam noch ein Aufbau wie ein römisches Kastell –  mit Fackeltürmen, in denen Ventilatoren Krepppapier als Flammen hochbliesen. Schließlich war alles fertig. Die Zeit drängte, denn der Wagen sollte bis zu einer bestimmten Uhrzeit seinen Platz in der Zugaufstellung eingenommen haben. So fuhr er los, obwohl noch ein kleines, aber wichtiges Teil der Verstärkerelektronik fehlte. Das war noch ausgeliehen und sollte gegen Mittag wieder zur Verfügung stehen.

Ich wartete in meinem Wagen, denn wir hatten ausgemacht, dass ich das Teil zum Zug bringe, sobald es da wäre. Schließlich war es so weit, und ich quälte mich auf Schleichwegen in den Aufstellungsbereich des Zuges. Übers Handy hörte ich, dass der Zug inzwischen gestartet war und auch unser Tieflader sich inzwischen in Bewegung gesetzt hatte. In einer Seitenstraße konnte ich mein Fahrzeug kurz abstellen, sprintete mit dem Koffer Richtung Ku’damm und erwischte den Wagen, als er gerade um die Ecke bog! Erleichtert wurde mir der Koffer abgenommen, und meine nächste Aufgabe war nun, das Auto an einer Stelle zu parken, von wo aus ich dann auf den Tieflader »aufspringen« konnte.

Endlich kletterte ich an Bord. Menschen, wohin ich sah. Die Anlage war in der Tat gigantisch. So verständigten wir uns in erster Linie mit Zeichensprache. Es war geplant, dass auch ich, wie die Anderen, ein Kostüm anziehen würde. Da ich vorneweg laufen sollte, hatten wir vom Kostümfundus des DFF, des ehemaligen Fernsehens der DDR, zwei Römerkostüme ausgeliehen. Eines für mich und eines für eine Kollegin, so richtig mit einer Art weißem, an den unteren Rändern mit Goldbrokat besetztem Kleid, Brust- und Rückenpanzer aus Messing, Helm und so weiter. Schließlich war ich umgezogen und sprang vom Tieflader herunter in die johlende und zuschauende Menschenmenge.

Erst lief ich auf einer Seite vorne neben dem Führerhaus mit, auf der anderen Seite meine Kollegin. Doch schon bald kam eine Gruppe von starken Frauen, die Ordner sein wollten. Es war gut warm, und meine Kollegin und ich kamen überein, unsere Römerhelme ins Führerhaus zu reichen. Die Menschenmassen wurden immer dichter, zum Teil standen die Leute schon zwischen den Wagen auf der Straße.

Der Alkohol floss in Strömen, und die Wärme tat ihr Übriges. So ging ich dann bald ganz vorne weg, gute zehn Meter vor dem Fahrzeug. Etwas geschah, was ich nicht in Worte fassen kann. Ich ging zu den Menschen, die im Weg standen, mehr oder weniger alkoholisiert. Manche fröhlich, manche schon leicht aggressiv, manche beides. Ich muss gestrahlt haben. Selten nur habe ich ein Wort oder gar einen Satz gesagt. Berührte die Menschen zart an der Schulter oder am Rücken, und als sie sich zu mir umdrehten, lächelte ich sie an und zeigte auf den Truck. Machte, wenn ich das Gefühl hatte, sie hätten nicht gleich verstanden, noch eine Geste dazu oder drückte sie sanft etwas zur Seite. Es war etwas Sanftes, Lautloses, Fließendes, wie ein Tanz. Mir ist niemand begegnet, der auf mich ignoriert hätte und nicht zur Seite ging. Zwei- oder dreimal sagte jemand stark Angetrunkenes etwas zu mir, unmittelbar, nach dem ich ihn berührt hatte, und fuhr herum. Dann sahen wir uns an, er schwieg und trat zurück. Ich lächelte und ging weiter. Eine tiefe Ruhe, Frieden und Freude erfüllte mich. Die Zeit blieb stehen.

Ich weiß nicht mehr, wie lange es dauerte, bis der Truck in eine Seitenstraße bog. Wie viele, viele Menschen ich berührt hatte. Als wir dann später nach Kreuzberg fuhren, um den Wagen abzubauen, war ich glücklich, dankbar und fühlte mich reich beschenkt. Was alles an Rummel um mich war, hatte ich kaum mitbekommen. Da war ich, da waren die Menschen, die ich berührt hatte. Das war es auch schon. So einfach.

Epilog

U-Bahn. Oben an der Decke diese Videobildschirme. Auf einmal ein Werbespot der Berliner Verkehrsbetriebe. Eine Szene mit einem Schauspieler, mit dem gleichen Römerkostüm an wie ich damals. Unwillkürlich musste ich lachen. Gut ankommen mit der BVG!


 

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